Was geht da unten in der Elbe vor?

Das unsichtbare Bauwerk in der Elbe

Vom Hafen Hamburg bis zur Nordsee liegt ein gewaltiges Bauwerk in der Elbe - die Fahrrinne für die Seeschiffe. Die Ausmasse - 16 m tief, 300 m breit und 120 km lang - sind im trüben Wasser nicht erkennbar. Doch die Schallwellen des Echolots durchdringen die Dunkelheit. Mit den Peildaten und denen der Landvermessung kann ein Bild der Elbe erzeugt werden, als sei das Wasser glasklar. Zur Beweissicherung(1) vermaßen die Hamburg Port Authority (HPA) und die Wasser- und Schifffahrtsämter (WSA) Hamburg und Cuxhaven die Tideelbe von Deichkrone zu Deichkrone vor der letzten Vertiefung 1998 und danach in den Jahren 2003 und 2004. Peilungen in und am Rand der Fahrrinne werden noch häufiger durchgeführt, um die aktiven Baggerungen zu beobachten. Aus früheren Zeiten sind derart intensive Messungen nicht vorhanden, weil die technischen Vermessungseinrichtungen nicht so leistungsfähig waren.

Um die Arbeit von HPA und WSA zu überprüfen, hat "Rettet die Elbe" die Daten angefordert, denn es handelt sich um Umweltdaten, die nach dem Gesetz öffentlich zugänglich gemacht werden müssen. Das WSA Hamburg kam der Aufforderung nach und lieferte die Daten auf CD-ROM (2). Die Ämter benutzen allerdings ein wenig gebräuchliches Computer-System, so dass nur Rohdaten ausgetauscht und mit den Mitteln von "Rettet die Elbe" in brauchbare Karten umgewandelt werden können. Mit Hilfe des Geografischen Informationssystems (GIS) "Idrisi" (3) wurden die Messpunkte der Vermessungsserien (bis zu 6 Mio. Datensätze) auf flächendeckende Rasterkarten von 10 m Maschenweite abgebildet. Die Messpunkte liegen so dicht bei einander, dass keine Informationen verloren gehen, aber auch keine größere Genauigkeit vorgetäuscht wird. Wo die Datenlage es zulässt, können lokal noch detaillierte Karten erzeugt werden. Weitere Daten wie Mittleres Tideniedrigwasser (MTnw) und MThw wurden der veröffentlichten Beweissicherungsdatenbank (1) der WSA entnommen und ebenfalls in Karten umgeformt.

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Karte. 1 Digitales Geländemodell Tideelbe 2004. Höher aufgelöste Bilder (ca. 5 Mb) auch für die Zustände 1998 und 2003 können heruntergeladen werden. Die Tiefe ist in den in der Legende bezeichneten Stufen signiert und semitransparent mit einem schattierten Relief überlagert.

Karte. 2 Ausschnitt Mühlenberger Loch 2004, 3D-Darstellung überhöht

Die Form des Elbebetts wird umso mehr von der Fahrrinne geprägt, je weiter man von der Mündung landeinwärts fährt. Nicht nur die Rinne selbst schneidet hinein, auch an ihren Seiten gleicht das Bett einem Trog, dessen Wände von den schmalen Watt- und Flachwasserzonen schnell in die Tiefe abfallen. Die Dynamik der Wasserströmungen am Grund wird durch die "Riffel" angezeigt, die aber nicht, wie man es vom Urlaub am Wattenmeer kennt, wenige Zentimeter, sondern 1 - 2 Meter hoch sind. Diese Sanddünen wandern am Grund, und werden sie weggebaggert, bilden sie sich nach wenigen Wochen wieder. Selbst in der Binnenwasserstrasse oberhalb des Hafens bilden sich streckenweise Riffel. In den flachen strömungsberuhigten Nebenelben mit ihrem mehr schlickigem Grund, die dem natürlichen Zustand der Elbe vor den Vertiefungen entsprechen, findet man selten bzw. sehr viel kleinere Riffel.

Das Flussbett in Bewegung

Von Natur aus ist das Elbe-Estuar ein veränderliches System, welches nur dann verstanden werden kann, wenn man die Entwicklung in allen Teilen über einen längeren Zeitraum verfolgt. Mit der Baggerung einer Fahrrinne vor 130 Jahren wurde die Dynamik des Systems grundsätzlich verändert. Der Hauptstrom hatte vorher eine Tiefe von 3 – 5 Metern und war in der Regel mit einem schlickigen, von Bakterienfilmen verklebten Sedimentboden stabilisiert. Trübstoffe, die sowohl von oberhalb Hamburgs als auch von der See her eingetragen wurden, setzten sich auf sehr viel größeren Flächen im Fluss und Vordeichland ab, als heute zur Verfügung stehen. In der immer tieferen Fahrrinne konnte die Ebbe schneller und tiefer ablaufen, wodurch sich der Tidenhub vergrößerte und damit wiederum die Strömungsgeschwindigkeit. Die Baggerung legte die unter der Kleischicht liegende Sandschicht frei, die durch die in der größeren Tiefe beschleunigte Strömung erodiert wird. Dass von der Fahrrinne ausgehend ein Tiefwassertrog ausgeschabt wurde, ist ein seit Jahrzehnten andauernder Prozess, ebenso wie die Riffelbildung. Die sprunghaft im Hamburger Hafen angestiegene Menge des Baggerguts weist aber darauf hin, dass nach der letzten Vertiefung ein Ruck durch die Elbe gegangen ist, der sehr viel mehr Sediment in Bewegung gesetzt hat als das, worum sich HPA Sorgen macht. Durch die vielen Wasserbaumaßnahmen wurde die Fliessdynamik des Wassers erhöht, die sich in einer eingeengten Flussaue austobt. Deshalb sind sprunghafte, unberechenbare Ausschläge zu erwarten.

Karte. 3 Wasserzonen 1926 und 1992 (1), Ausschnitt; dargestellt ist das Estuar von Deichkrone zu Deichkrone sowie die tidebeeinflussten Nebenflüsse (die allerdings im Fall von Sturmfluten mit Sperrwerken getrennt werden). Die Karte der Wasserzonen von 1992 wurde als Ausgangszustand für die hydrodynamischen Berechnungen der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) verwendet.

Nach dem 1. Weltkrieg schritten Hafenausbau (z. B. nördlich von Finkenwerder) und Fahrwasservertiefung voran. Das Estuar unterhalb des Hafens war jedoch weitgehend in einem naturnahen Zustand. Das Vordeichland bedeckt noch grosse Flächen. Das Fahrwasser war auf eine Tiefe von ca. - 9 m NN ausgebaut. Der Ausbau des Hafens (Hohe Schaar, Containerterminal Waltershof), die Abtrennung von Nebenarmen (Köhlfleet, Alte Süderelbe, Borsteler Nebenelbe) und die weiträumigen Vordeichungen (Borsteler Schallen und Hahnöfer Sand, Hetlinger Marsch) sind im Vergleich von 1992 mit 1926 augenfällig. Die Sandbänke Schweins-, Ness- und Hans-Kalb-Sand westlich von Finkenwerder wurden Anfang der 70er Jahre aufgehöht und miteinander zu einer Insel verbunden, um die Querströmungen zwischen Hahnöfer Nebenelbe und Fahrrinne zu unterbinden, die Sediment in die Fahrrinne spülten. Die im Hauptstrom gebündelte Strömung hielt die Rinne nun selbst frei. Wie gut der Plan gelang, zeigt die Berechnung der Strömungen durch die BAW:

Karte. 4 Strömungsrichtung und Geschwindigkeit bei voll einsetzendem Flutstrom, Referenzzustand 1992, Computersimulation BAW zur Elbvertiefung 1997 (4)

Die einsetzende Flut läuft in der tiefen Fahrrine schneller auf, überholt den Strom durch die Hahnöfer Nebenelbe und prallt mit ihm im westlichen Mühlenberger Loch zusammen, so dass bevorzugt hier Schwebstoffe sich auf dem Grund absetzten und begannen, eine Landbrücke vom Schweinssand zum Südufer des Mühlenberger Lochs zu bilden (blaue Zone). Um der Gefahr zu begegnen, dass nach Fahrrinnenvertiefung und Erweiterung des Airbus-Werks die Nebenelbe vollends verlandet (und auch das Este-Fahrwasser häufiger ausgebaggert werden müsste), wurde als Ausgleich eine Rinne vom Hauptstrom/Airbuswerk zur Nebenelbe gebaggert (s. Karte. 1 und 2). Diese Spülrinne hält zwar die Nebenelbe offen, aber durch sie wird mit der Flut auch das Sediment in den Hafen gespült (sofern es nicht die künstliche Rinne verstopft), das man vorher durch den Bau der Insel zurückhalten wollte, plus der Extraportion Sand, die gerade zuvor an der Landesgrenze in der Fahrrinne verklappt wurde.

Sedimentbilanzen

Die Rasterkarten können miteinander verglichen werden, etwa indem die Höhendifferenz aus verschiedenen Jahren für jeden Rasterpunkt berechnet und in einer neuen Karte dargestellt wird, oder indem Profilschnitte gelegt werden. Für die gesamte Tideelbe ergeben sich von 1998 bis 2004 erhebliche Veränderungen nicht nur durch die künstliche Vertiefung der Fahrrinne, sondern auch durch die eigendynamischen Umlagerungen.

Karte. 5 Differenz der Tiefenmodelle 2004 und 1998; die Signatur-Skala ist auf + - 3 m beschnitten, um auch kleine Veränderungen zu visualisieren. Vor allem im Mündungsgebiet treten sehr viel höhere Auf- und Abträge auf (bis 15 m !)

Um die Umlagerungsprozesse zu bewerten, wurde die Elbe in hydrologisch geeignete Abschnitte eingeteilt und die Auf- und Abträge für jeden Abschnitt bilanziert. Als Bezugsflächen wurden die in der Karte von 1992 dargestellten Wasser- und Wattflächen gewählt. Da die Vermessung 1998 die Hafenbecken noch ausließ und die Airbus-Erweiterung erst 2004 vollständig aufgenommen wurde, sind die davon berührten Abschnitte nicht korrekt zu berechnen.

Karte. 6 Bilanz des Sedimentauf- und Abtrags zwischen 2004 und 2003 auf ausgewählten Flächen. Ab- und Auftrag beziehen sich jeweils nur auf die Pixel, d.h. Fläche, die positiv oder negativ belegt sind, der Saldo auf die gesamte Fläche eines Bilanzraums.

BILANZRAUM (s. Karte 6) Abtrag
Kubikmeter
Auftrag
Kubikmeter
Saldo
Kubikmeter
Abtrag
Meter
Auftrag
Meter
Saldo
Meter
geesthacht bis bunthaus -1,446,110 1,824,910 378,800 -0.35 0.40 0.04
hauptstrom finkenwerder bis schweinssand -863,935 1,932,065 1,068,130 -0.50 0.80 0.26
delegationsstrecke wittenbergen -788,825 731,800 -57,025 -0.53 0.69 -0.02
hahnoefer nebenelbe und nesssand -957,995 418,465 -539,530 -0.26 0.15 -0.08
wsa hamburg ab km 639 bis nordspitze luehesand -3,554,100 1,951,180 -1,602,920 -0.38 0.28 -0.10
unterhalb luehesand bis nordspitze schwarztonnensand -4,210,045 10,031,145 5,821,100 -0.30 0.34 0.13
von schwarztonnensand bis nordspitze rhinplate -1,555,745 4,473,370 2,917,625 -0.19 0.32 0.13
rhinplate bis km 689 wsa cuxhaven -3,976,610 9,548,810 5,572,200 -0.32 0.44 0.16
km 689 bis westufer nok -6,444,835 4,745,495 -1,699,340 -0.54 0.40 -0.07
nord-ostsee-kanal bis cuxhaven alte liebe mit medem -44,974,545 45,458,640 484,095 -0.58 0.41 0.00
aussenelbe -48,131,150 47,274,265 -856,885 -0.41 0.18 0.00

Tab. 1 Bilanz des Sedimentauf- und Abtrags zwischen 2004 und 2003 auf ausgewählten Flächen

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Diagr. 1 Bilanz des Sedimentauf- und -abtrags zwischen 2004 und 2003 auf ausgewählten Flächen

BILANZRAUM (Karte 6) Abtrag
Kubikmeter
Auftrag
Kubikmeter
Saldo
Kubikmeter
Abtrag
Meter
Auftrag
Meter
Saldo
Meter
geesthacht bis bunthaus -4,257,595 1,901,360 -2,356,235 -0.83 0.56 -0.28
hauptstrom finkenwerder bis schweinssand -3,229,145 2,020,590 -1,208,555 -1.22 1.40 -0.30
delegationsstrecke wittenbergen -1,287,720 1,251,635 -36,085 -0.90 1.12 -0.01
hahnoefer nebenelbe und nesssand -2,896,270 604,350 -2,291,920 -0.68 0.28 -0.36
wsa hamburg ab km 639 bis nordspitze luehesand -8,375,885 1,921,030 -6,454,855 -0.81 0.33 -0.40
unterhalb luehesand bis nordspitze schwarztonnensand -10,655,520 14,561,445 3,905,925 -0.58 0.57 0.09
von schwarztonnensand bis nordspitze rhinplate -4,665,885 9,939,605 5,273,720 -0.52 0.76 0.24
rhinplate bis km 689 wsa cuxhaven -10,760,635 17,792,475 7,031,840 -0.79 0.87 0.21
km 689 bis westufer nok -6,716,935 7,832,335 1,115,400 -0.58 0.63 0.05
nord-ostsee-kanal bis cuxhaven alte liebe mit medem -142,255,775 135,533,950 -6,721,825 -1.59 1.35 -0.04
aussenelbe -231,782,130 166,802,475 -64,979,655 -1.02 1.08 -0.17

Tab. 2 Bilanz des Sedimentauf- und Abtrags zwischen 2004 und 1998 auf ausgewählten Flächen

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Diagr. 2 Bilanz des Sedimentauf- und Abtrags zwischen 2004 und 1998 auf ausgewählten Flächen

In den Angaben von HPA und der WSA wurden bisher die durch Baggerung und Verklappung bewegten Sedimentmengen bilanziert. Hier hingegen wird berechnet, wieviel Sediment in allen Watt- und Wasserzonen umgeschichtet wird. Wie zu erwarten ist der Umschlag im Mündungsbereich weitaus am höchsten. Jedoch schon im Abschnitt von Geesthacht bis Bunthaus, der Binnenwasserstrasse, wurden in einem einzigen Jahr (von 2003 auf 2004) 1.4 Mio. m3 ab- und 1.8 Mio. m3 aufgetragen, so dass der Saldo von 400 000 m3 einen mittleren Zuwachs von 4 cm ergibt. In Anbetracht der hohen Umschlagsmengen können "geringe" Änderungen auf Seiten von Ab- oder Auftrag den Sedimentverlust bzw. -gewinn eines Abschnitts stark beeinflussen. In welche oder aus welcher Richtung der Saldo bewegt wird, kann aus unseren Bilanzen nicht bestimmt werden. Vermutlich kann sich auch dies von Jahr zu Jahr entscheidend ändern. So gesehen kann der Anstieg der Baggermengen im Hafen ein Zufall sein. Dass ein Trend vorliegt, wird aus anderen Beobachtungen plausibel erklärt.

Die Erwartung, dass strömungsarme Zonen - Watt, Flachwasser und Hafenbecken - aufgehöht werden, wird bestätigt. Doch kommt es hier auf die speziellen Bedingungen des Einzelfalls an. Die zeitliche Dichte und Kontinuität der Peildaten sowie der Mangel an räumlich scharfen Angaben der künstlich bewegten Mengen lassen nicht zu, flächendeckend für den ganzen Untersuchungsraum Trends zu bestimmen. Deshalb werden hier einige gut vermessene Beispiele von Erosion und Verlandung näher betrachtet.

Fahrrinne

Auf der Strecke von Wedel bis zum Lühesand wurden zwischen 2003 und 2004 1.6 Mio. m3 Sediment per Saldo ausgetragen, vor allem aus Fahrrinne und Tiefwasser. Eine Unterhaltungsbaggerung war nach dem Profil 2003 eigentlich nicht nötig, die Solltiefe eingehalten. Die Elbe hat sich in diesem Abschnitt selbst vertieft, obwohl am östlichen Ende der Strecke, an der Landesgrenze, von HPA ca. 6 Mio. m3 aus dem Hafen hinzugefügt wurden. Ob das Material mit der Flut zurück in den Hafen oder mit der Ebbe abwärts zum Pagensand verfrachtet wurde (wo starke Aufträge zu verzeichnen sind), lässt sich allerdings nicht ohne weitere Daten belegen. Die These von HPA (in 10), das von ihr selbst verklappte Baggergut werde durch "tidal pumping" postwendend in den Hafen geworfen, wird durch die qualitative - nicht quantitative - Computersimulation der BAW nicht bewiesen (die BAW hat ein gegenüber 1997 verbessertes Computermodell eingesetzt). Genauso gut erklärt das Modell der BAW, dass aus der Strecke unterhalb der Landesgrenze Sediment aufwärts transportiert würde, selbst wenn HPA nichts verklappen würde. Es ist reines Wunschdenken von HPA, man müsse das Baggergut nur weit draussen in die Nordsee werfen, dann könne es nicht mehr in den Hafen zurück. In der Elbe vor den Toren Hamburgs ist so viel Sediment unterwegs, dass der Transport in den Hafen sicher nicht abreisst.

Nicht alle Tiefwasserzonen werden erodiert, sondern es sind z.T. massive Einträge erkennbar (Karte 5 und 7). Wäre es anders, müsste nicht mehr gebaggert werden. Aus den langjährigen Erfahrungen haben die WSA in den Beweissicherungsdaten eine Karte dargestellt, welche Volumina pro Stromkilometer im Mittel entfernt wurden.  Auf der im vorigen Absatz beschriebenen Strecke von 12 km wäre demnach eine Baggerung von 800 000 m3 zu erwarten. Vor Glückstadt jedoch gibt es eine Strecke von 7 Stromkilometern a` 400 000 m3 = 2.8 Mio. m3 Baggervolumen.

Karte 7 Baggermengen pro Stromkilometer, Beweissicherung Elbvertiefung 1997 (1)

Eichweber (WSD Kiel)(5) erklärt die Elbe als ein mit der Tidewelle und ihren Obertönen schwingendes System wie ein Blasinstrument. An den Schwingungsknoten findet man Schwerpunkte der Sedimentablagerung, die umso markanter hervortreten, je weniger die Schwingungen wegen der Vertiefung der Rinne und Streckung von Kurven gedämpft werden. Nach Eichwebers Theorie wäre die Bildung bzw. Verlagerung eines Knotens im Hafen denkbar, denn die Tide kann, seit der Vertiefung und der Airbus-Erweiterung noch weniger behindert, bis Altenwerder durchschwingen. Für Eichwebers Theorie (der den Hafen in seinen Arbeiten ausklammert) spricht auch, dass die größten Volumina der Baggergutvermehrung aus dem Stromrinnen Norderelbe, Süderelbe und Köhlbrand stammen (7).

Mühlenberger Loch und Hahnöfer Nebenelbe

Das Mühlenberger Loch wurde nach der Abtrennung der Alten Süderelbe vor vierzig Jahren zu einer Sackgasse, in die mehr Sediment hinein- als hinausgespült wird. Es wurde befürchtet, durch die weitere Strömungsberuhigung durch den Bau der Airbus-Halbinsel und den vermehrten Sedimenttransport durch die höhere Strömungsgeschwindigkeit in der Fahrrinne werde das östliche Mühlenberger Loch vollends verlanden.

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Karte 8 Differenz Tiefenmodell 2004 - 2003; die Skala ist auf +- 1 m beschnitten, in der Fahrrinne, an den Klappgruben und auf der Airbus-Erweiterung treten größere Unterschiede auf. Eingezeichnet sind die unten beschriebenen Profilschnitte und die Bilanzfläche im Südosten des Mühlenberger Lochs.

Gut erkennbar ist der Abtrag (grün) in der Fahrrinne unterhalb der Hamburger Landesgrenze. Das hier aus dem Hafen verklappte Baggergut setzt sich nicht ab, sondern wird zunächst einmal mit der Strömung abtransportiert. Am Nordrand des Nessandes und des Mühlenberger Lochs sind die Aufhöhungen (magenta) durch die Füllung der Klappgruben sichtbar. Auf der in der Karte markierten Fläche im Südosten zwischen Airbus-Halbinsel und Estemündung wurden ohne gezieltes menschliches Zutun von 1998 bis 2004 950 000 m3 abgelagert, somit im Durchschnitt um 56 cm erhöht, davon allein von 2003 bis 2004 21 cm.

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Diagr. 3 Histogramm der Südost-Ecke Mühlenberger Loch, Zahl der Pixelflächen mit jeweiligem Ab-/Auftrag von 1998 bis 2004

Im Profilschnitt wird zusätzlich sichtbar, dass vor der künstlichen Aufschüttung der Airbus-Halbinsel auf dieser Wattfläche ein ebenso starker Auftrag stattfand. Nach Wegfall der Fläche muss das Volumen an anderer Stelle sedimentiert sein. Die Ausgleichsrinne zur Hahnöfer Nebenelbe leidet an Verstopfung, kaum dass sie angelegt wurde.

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Diagr. 4 Profilschnitt durch die Tiefenmodelle von Südost Mühlenberger Loch nach Blankenese

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Diagr. 5 Profilschnitt durch die Tiefenmodelle von Hahnöfer Sand nach Wittenbergen

Das Diagramm 5 zeigt eine Vertiefung der Hahnöfer Nebenelbe nach 1998, vermutlich durch die stärkere Durchströmung zur Ausgleichsrinne. Das Bett der Nebenelbe ist dadurch nicht mehr als Flachwasser anzusprechen. Zwischen Nesssand und  Fahrrinne wurde durch Verfüllen einer Klappgrube mit Aushub der Vertiefung eine Flachwasserzone geschaffen, die jedoch in ihrer Lage nicht breit genug sein darf, um die Funktion als sauerstoffaktive Zone zu erfüllen. Der Boden der Fahrrinne ist wegen der Riffel stark gegliedert und nach 1998 erkennbar abgesenkt. Das Elbufer bei Wittenbergen fällt steil zur Fahrrinne ab. Zwischen der Niedrigwasserlinie bei minus 1.5 m NN und der Fahrwassertiefe von - 16 m NN liegt eine Distanz von 50 m. Wegen der Verengung des Flussbetts am Leuchtturm Wittenbergen wird die Tideströmung zusätzlich beschleunigt. Hier zum Elbebadetag 2002 aufzurufen war erschreckend leichtsinnig.

Flachwasserzonen und Sauerstoffhaushalt

Entscheidend für die Sauerstoffversorgung der Tideelbe in der warmen Jahreszeit ist, dass Algen wachsen oder zumindest überleben können. Die "Dunkelstresstoleranz" von Algen muss hoch sein, weil sie nachts eine Periode von ca. 10 Stunden Dunkelheit überstehen müssen. Nicht zuletzt ihre eigene Masse trübt das Gewässer (Sichttiefe in der Elbe ca. 50 cm) und nimmt das lebensnotwendige Licht. Durch die Turbulenz im Wasser ist eine Alge mal oben im Hellen, mal unten im Dunkeln. In Flachwasserzonen, dem Bereich von der Mittleren-Tideniedrigwasser-Linie (MTnw) bis 2 Meter abwärts, ist die Beleuchtungsdauer ausreichend, dass die Algen leben, in tieferem Wasser wie der Fahrrinne und Hafenbecken sterben sie. In ihrer Umweltrisikoabschätzung für die geplante nächste Elbvertiefung (4) gibt die Bundesanstalt für Gewässerkunde den Flachwasserzonen das höchste Gewicht für den Sauerstoffhaushalt der Elbe. Im Watt leben Algen auf dem Boden und produzieren zwar Sauerstoff, doch wirkt die hohe Zehrung von aufgewirbeltem Schlick dem entgegen. Das Algen-Artenspektrum von Watt und Flachwasser überlappt sich nur zum Teil, so dass das Watt keine Algenreserve liefert und für die Sauerstoffversorgung des ganzen Gewässers nicht die entscheidende Rolle spielt, wohl aber einen Puffer je nach Überflutungsdauer bietet. Seit der letzten Elbvertiefung 1998 sind im Hamburger Hafen jedes Jahr "Sauerstofflöcher" aufgetreten, die z.B. im Fischbestand erheblichen Schaden anrichten. Die Daten des Wassergütemessnetzes (9) beweisen, dass aus der Oberelbe eingeschwemmte Algen im Hafen quantitativ absterben. Das führt zu der Frage, ob eine Veränderung der Flachwasserzonen unterhalb des Hafens die Regeneration des Algenbestands be- oder gar verhindert. Generell haben alle Fahrrinnenvertiefungen zu einer Absenkung des MTnw und so zu einer Vergrößerung der Wattflächen zu Lasten der Flachwasserzonen geführt. Durch die Verlandung des Mühlenberger Lochs, s.o., ist die Dauer des algenfeindlichen Trockenfallens von Wattflächen verlängert. Von der Ausgangssituation 1992, Massstab vor der Vertiefung 1998, bis 2004 haben sich Flächeninhalt und -form wie folgt geändert:

Karte 9 Flachwasserzonen 1992 (Referenzkarte aus der Beweissicherung) und 1998 (Ableitung aus Tiefenmodell Tideelbe)

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Karte 10 Flachwasserzonen 1998 und 2003 (Ableitung aus Tiefenmodell Tideelbe)

Karte 11 Flachwasserzonen 1998 und 2003 (Ableitung aus Tiefenmodell Tideelbe)

Man sieht deutliche Flachwasserverluste seit 1992 und nur geringe Gewinne nach der Vertiefung durch die Verfüllung von Klappgruben. Die Flächen 1992/98 waren überdies kompakter als die schmalen langgestreckten Reste 2004. Die Ausgleichsrinne zur Nebenelbe hat z.B. ein zusammenhängendes Gebiet in zwei Streifen geteilt. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit sehr erhöht, dass eine Alge entweder aufs Watt geworfen oder ins Tiefwasser verwirbelt wird und als Sauerstoffproduzent ausfällt.

Sportboothäfen

Nicht lebensgefährlich wie für Fische, aber ökonomisch schmerzhaft ist die Verlandung von Sportboothäfen. In der Billwerder Bucht wird Schlick wie in einem Sack gesammelt.

Karte 12 Billwerder Bucht, Sedimentauf- und -abtrag von 2003 bis 2004

Die Bilanz für die Billwerder Bucht ergibt für nur ein Jahr von 2003 auf 2004 einen Abtrag von - 77 000 Kubikmeter (grün), einen Auftrag von 203 000 m3 (magenta), mithin einen Saldo von +126 000 m3, d.h. eine durchschnittliche Auflandung von 11 cm auf der gesamten Fläche. Für die Güter-Binnenschiffe, die z.B. die Kohle zum Kraftwerk Tiefstack bringen, sind wenige grüne Vertiefungen zu beobachten, während die Sportboothäfen durchweg unter der Verschlickung leiden. Die Bergedorfer Zeitung berichtete im November 2005:

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Während HPA den Hamburger Hafen in Existenznot sieht, die mit der 8 Mio. € pro Jahr teuren Verklappung von Baggergut in die Nordsee abgewendet werden soll, sieht das Amt im Holzhafen "kein wirtschaftliches Interesse", die Nutzer sollten auf eigene Kosten baggern. Die Betreiber von Sportboothäfen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben wenigstens ihre Landesregierungen im Rücken, die der FHH einen Entschädigungsfonds abpressen. Das kleinliche Geschacher und das Abstreiten jeder Verantwortung der Wirtschaftsbehörde in diesem Fall lässt ahnen, wie man dort mit weiteren Einwänden gegen die Elbvertiefung umgehen wird.

Elbmündung

Weitaus dynamischer als im Hamburger Bereich wird an der Elbmündung Sediment hin- und hergeschaufelt. Seit einigen Jahrzehnten frisst sich nördlich der Fahrrinne zwischen Cuxhaven und Otterndorf die Medemrinne in den Medemsand. Zwischen Fahr- und Medemrinne liegt die Sandbank Medemgrund. In der Fahrrinne findet man Löcher von über 30 m Tiefe, aber die tiefste Stelle der Medemrinne liegt auch schon bei 18 m unter NN. Das System von Sandbänken und Rinnen ändert seine Lage von Jahr zu Jahr.

Karte 13 Digitales Tiefenmodell Tideelbe 2004, Ausschnitt Medemgrund, 3D-Darstellung überhöht

Karte 14 Differenz Tiefenmodell 2004 - 2003; die Skala ist auf +- 1 m beschnitten. Eingezeichnet sind Profilschnitte

Im Kartenausschnitt wurden in einem Jahr je 45 Mio. m3 Sediment ab- bzw. aufgetragen. Eine seit Jahren zu beobachtende Verlagerung von Medemgrund und Medemrinne nach Norden auf Kosten des Medemsands ist in der Karte und im Profilschnitt erkennbar.

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Diagr. 6 Profil von Groden (Nds.) bis Friedrichskoog (S-H.) über die Digitalen Tiefenmodelle 1998, 2003 und 2004

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Diagr. 7 Profil von Groden (Nds.) bis Friedrichskoog (S-H.) über die Digitalen Tiefenmodelle 1998, 2003 und 2004, Detail niedersächsisches Ufer

Im Detail des Profils wird am niedersächsischen Ufer eine zunächst nur kleine Veränderung angezeigt. Zwischen Fahrrinne und Deich bildet sich von Otterndorf bis Cuxhaven eine schmale Rinne. Nur 200 m vom Deichfuß entfernt ist eine in nur wenigen Jahren entstandene 3 m tiefe Einkerbung Anlass, sich Sorgen zu machen, wenn man hinter diesem Deich wohnt.

Die Elbe im Elchtest

Hauptsache, Fahrrinne und Hafen werden ausgebaut, denkt HPA schon immer. Der größere Tidenhub, die kürze Laufzeit der Tidewelle, höher auflaufende Sturmfluten - das alles ist nicht erst seit der letzten Vertiefung 1998 bekannt. Für die negativen Folgen gibt es Experten, die berechnen, wie man ausgleichen und abfedern kann. Das machte das Planverfahren 1997 komplizierter denn je. Wie bei der Konstruktion eines neuen Autos wird ein "Elchtest" gemacht, ob es bei einem Ausweichmanöver weiterfährt oder umfällt. Ist der Test bestanden, konstruieren die Ingenieure gleich ein schnelleres und noch besser gefedertes Auto. Die Elbe sei nicht umgefallen, meint HPA, und schon wird eine weitere Vertiefung geplant, mit noch aufwändigeren Computersimulationen und Ausgleichsmaßnahmen.

Sauerstofflöcher plagten die Tideelbe bis Anfang der 90er Jahre, bis auch Hamburg ein Klärwerk gebaut hatte, das diesen Namen verdiente. Nach der Vertiefung 1998 traten die Sauerstofflöcher in zunehmender Schärfe wieder auf. HPA überließ es der Umweltbehörde, das Unwort "Sekundärverschmutzung" zu propagieren, die Oberlieger würden die Algen im Fluss durch Überdüngung aufpäppeln, so dass der Überschuss dieser Biomasse zuviel Sauerstoff im Hafen zehre. Die Elbe fiel um, und HPA plante ungerührt die nächste Vertiefung. Alarm bei HPA löste erst die Vervierfachung der Baggermenge in Hamburg aus - ökologisch eher nebensächlich. Wenn etwas Geld kostet, muss HPA gegensteuern, die Elbe zähmen, im härtesten Elchtest aller Zeiten sie bis in die Mündung ummodeln. Dazu haben HPA und die WSD Nord ein "Konzept für eine nachhaltige Entwicklung der Tideelbe als Lebensader der Metropolregion Hamburg" vorgelegt, in dem sie beanspruchen:

"sowohl den wirtschaftlichen Nutzen, den Hochwasserschutz, wie auch die ökologischen Ziele mit denselben Maßnahmen zu verfolgen. Es gibt entlang der Tideelbe Gebiete, mit deren Umgestaltung im Laufe der kommenden Jahrzehnte viele natürliche Prozesse im win-win-Prinzip mit ökonomischen Zielen positiv beeinflusst werden können." (10)

Die Fehldiagnose von HPA

Ein hoher Anspruch, allen Gutes zu tun, setzt voraus, die Scheuklappen der Verwaltungszuständigkeit abzulegen und den Patienten Tideelbe als Ganzen zu analysieren. Bei der Diagnose ist HPA wenig sorgfältig vorgegangen und zu krassen Fehleinschätzungen gekommen.

HPA nimmt die in Hamburg vervielfachte Baggermenge zum Anlass, Maßnahmen an der ganzen Tideelbe zu fordern. HPA gibt für 1990 bis 1999 Baggermengen zwischen 1 und 2 Mio. m3 pro Jahr an. Ab 2000 schießt das Volumen bis über 9 Mio. m3 in die Höhe. (7)

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Diagr. 8 Baggergutvolumen aus dem Hamburger Hafen nach Art der Beseitigung, aus Umlagerungsberichten 2002 bis 2005, HPA (7)

Die Baggermengen der WSA Hamburg und Cuxhaven werden nicht einmal erwähnt. In der Elbe unterhalb Hamburgs hat sich die Baggergutmenge keineswegs dramatisch entwickelt. Zwischen 1985 und 2000 schwankten die Unterhaltungsbaggerungen zwischen 7 und 16 Mio. m3, davon im Abschnitt des WSA Hamburg von Stromkilometer 639 bis 689 zwischen 2.5 bis 12.5 Mio. m3 (6). Das WSA Hamburg verzeichnete in der Folge Werte, die im Rahmen der jährlichen Schwankungen liegen und keinen Trend anzeigen.

Jahr  Mio. m3
2000 4.5
2001 4.6
2002 3.5
2003 3.9
2004 5.7

Weder WSA noch HPA haben die Auf- und Abträge ausserhalb von Fahrwasser und Hafenbecken bilanziert und versucht, sich ein Bild von den Sedimentbewegungen zu machen, obwohl sie dieselben Daten besitzen, die "Rettet die Elbe" benutzt.

Ursache des Stromauftransports von Sediment in den Hafen ist nach HPA das "tidal pumping", dass die Flut nämlich mit schnellerer Strömung auf- als die Ebbe abläuft. Dadurch würde das an der Landesgrenze verklappte Baggergut postwendend in den Hafen zurückgeworfen, statt sich mit der Ebbe stromab zu verteilen. Die Tidepumpe lief schon vor der letzten Vertiefung.


Karte 15, Animation Strömungsrichtung und -geschwindigkeit zwischen Schulau und Hafen, Referenzzustand 1992, Computersimulation BAW zur Elbvertiefung 1997 (4), zusammengestellt von "Rettet die Elbe"

Die Tidepumpe arbeite heute mit einem höheren Hub und setze mit der Flut härter ein, so erklärt HPA's Baggergutmanager Glindemann bei jeder Gelegenheit der Öffentlichkeit, wodurch nicht nur schlickige Schwebstoffe, sondern auch der schwerere Sand in die falsche Richtung - aus Sicht von HPA - bewegt würden. Die Umlagerungsberichte von HPA schlüsseln das Baggergut nach Schlick und Sand auf, und sie widerlegen HPA's These.

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Diagr. 9 Baggergutmasse aus dem Hamburger Hafen nach Art der Beseitigung und Korngröße, aus Umlagerungsberichten 2002 bis 2005, HPA (7)

Man beachte die jeweils rechte Säule eines Jahres: es ist die verklappte Schlickmenge (blau), die sich 2004 und 2005 gegenüber den Vorjahren verdoppelt hat.

Bei der Erklärung des höheren Tidehubs nimmt das Konzept von HPA eine überraschende Wende:

"So sind in dem seit jeher von Erosion und Sedimentation geprägten dynamischen System in den letzen Jahren verstärkt Tendenzen zur Aufweitung des Mündungstrichters zu beobachten. Die Ursachen hierfür sind heute noch nicht abschließend geklärt. Durch die Aufweitung der Mündung kann mehr Tideenergie in das Ästuarsystem vordringen." (10)

HPA hält es nicht für nötig, die angebliche Aufweitung des Mündungstrichters zu belegen. Weder dies noch das Gegenteil ist aus den Peildaten abzuleiten. Eichweber (5) behauptet eine langfristige Aufweitung der Mündung, schränkt aber ein, mangels vergleichbarer Peildaten gäbe es keinen zwingenden Beweis. HPA versucht, eine Drohkulisse aufzubauen, der Blanke Hans dringe mit ungehemmter Flut-Energie in die Elbe ein, und deshalb müsse man Barrieren in der Mündung errichten. Der größere Tidenhub - und zwar in Hamburg, nicht in Cuxhaven - ist jedoch im Laufe der Fahrrinnenvertiefungen vor allem durch die tiefer ablaufende Ebbe eingetreten. Das Wasser läuft rasch durch die Fahrrine ab, wenn die Watten schon trockengefallen sind. Vor 150 Jahren lagen die Niedrigwasserpegel in Hamburg und Cuxhaven 1.50 m auseinander, heute nur noch 30 cm. Früher hatte der Fluß Elbe noch ein Gefälle, heute ist ihre Mündung aufwärts gerückt und gleicht einer Meeresbucht. Die Süßwassergrenze wurde in den letzten 50 Jahren von Glückstadt 20 km aufwärts verschoben. Wollte man den Tidenhub dämpfen, muss man das ablaufende Wasser auf der ganzen Stromlänge behindern. Eine Vertiefung der Rinne bewirkt mit Sicherheit das Gegenteil.

Unberechenbare Inseln - Düsentriebwerke im Strom

Inseln in der Elbmündung hält HPA für die Rettung, die Tide zu dämpfen und gleichzeitig das Baggergut in ihnen zu deponieren, fürwahr eine win-win-Idee (10). Für den Ökologen stellt sich aber noch die Frage, ob es "design with nature" ist oder gewaltsame Verbauung. Warum haben Elbe, Weser und Schelde leere Mündungstrichter und nur der Rhein ein Delta? Nun, die Elbe hat auch ein Delta, aber weit im Binnenland. Dass es hier liegt und nicht direkt an der Küste, ist aus der Entstehungsgeschichte zu erklären. Nach der letzten Eiszeit, in der der Meeresspiegel 200 m tiefer lag und die Küstenlinie zwischen Schottland und Norwegen verlief, bildete sich mit dem Anstieg des Meeresspiegels die Nordsee. Die Elbe führte immer weniger Wasser, je mehr die sie speisenden Gletscher verschwanden. Die von der Mündung einlaufende Flut und das Oberwasser prallten im Hamburger Raum aufeinander, und in der Wasserstillstandszone bildeten sich Inseln, die den Strom in viele Arme teilten. Die Menschen nutzen seit 800 Jahren die Inseln (Werder) als bedeichte Polder. Wäre das nicht geschehen, ließe man Oberwasser, Ebbe und Flut ihren Lauf, würde sich das Delta bei weiterem Meeresanstieg und - wegen Klimawandel - sinkender Wasserspende aufwärts verlagern. Inseln in der Elbmündung sind gegen den Trend, sie waren es schon immer.

1630 veröffentlichte der Kartenverleger Willem Blauw eine Karte, die nach den damaligen Vermessungstechniken recht genau die Elbmündung mit ihren Sänden, den Fahrwassertonnen und Tiefenangaben (in Faden = 1.63 m) beschreibt. Es gibt nur eine Insel, das schon damals befestigte Neuwerk.

Karte 16 Elbmündung 1630, Willem Blauw, Amsterdam

In Satellitendaten, die von der NASA im Internet zur Verfügung gestellt werden, werden in den Aufnahmen zwischen 1976 und 2001 Inseln nur neben der Mündung bemerkt - Neuwerk, Nigehörn, Scharhörn und Trischen. Die sagenumwobene Medeminsel ist zu klein und flüchtig, um sie zu identifizieren. Die Karten wurden aus den Farbbändern "blau, sichtbares Licht", "grün, sichtbares Licht" und "nahes Infrarot" kombiniert, weil so trübes und klares Wasser sowie Flächen mit oder ohne Vegetation - Insel oder Sandbank - gut zu unterscheiden sind.

Karte 17 Landsat Aufnahme 1976

Karte 18 Landsat Aufnahme 1995

Karte 19 Landsat Aufnahme 2000

Karte 20 Landsat Aufnahme 2001

Die Aufnahmen unterstreichen ebenfalls die Dynamik von Tide und Sedimenten. Hier hinein Inseln zu bauen, die auch noch einen berechneten Zweck erfüllen sollen, ist ein tollkühnes Unterfangen. Zur Warnung sei nochmals auf die Strömungssimulation der BAW hingewiesen.

Karte 21 Animation Strömungsrichtung und -geschwindigkeit im Medemgebiet, Referenzzustand 1992, Computersimulation BAW zur Elbvertiefung 1997 (4), zusammengestellt von "Rettet die Elbe"

Unter dem Aspekt, Inseln in dem Gebiet zu bauen, achte man auf die Stellen, wo Wattflächen trocken liegen. Zwischen Watt und dem nächstgelegenen Ufer wird die Strömung wie in einer Düse beschleunigt, da das Wasservolumen ja entsprechend der Pegeldifferenz nach Druckausgleich strebt. An solchen Stellen wird man durch eine Vertiefung der Fahrrinne und Inseln größte Probleme bekommen, etwa, dass sich der Sedimentumschlag auf Flächen richtet, die man stabil halten will, oder gar die Düse auf einen Deich zielt.

Problemlösungen

Unsere Auswertungen zeigen zunächst ein erweitertes Bild der Tideelbe und bieten Erklärungen, wie es zu bestimmten Problemen kommt bzw. wie man sie vermeidet. Problemlösungen erwarten wir von der Politik, doch die vermissen wir im "Konzept für eine nachhaltige Entwicklung der Ti­deelbe als Lebensader der Metropolregion Hamburg" von HPA. Die Flussaue aufzuweiten, um durch Rückdeichung Vorland, Watt und Flachwasserzonen zu vergrößern, das wollten alle gern. Eine Problemlösung wird aber erst daraus, wenn die Wirtschaftsbehörde sehr viel Geld zum Kauf von Flächen bereit stellt und die privaten Grundbesitzer überzeugt, dass es nicht nur des Hektarpreises wegen zum Wohle aller ist. Doch sie will lieber Inseln in der Mündung bauen, weil sie die Flächen bil­lig bekäme. Aber mit Knauserigkeit löst man keine Probleme. Inseln in der Mündung stellen ein unkalkulierbares Risiko dar (s. Sedimentbewegungen in dem Bereich) und schaffen neue Probleme (Einengungen wirken wie Düsen). Eine Wirtschafts­behörde, die ehrlich umdenkt, wäre auch ein Teil der Lösung. Doch schon der Zeitplan, das HPA „Konzept“ ab November 2006 mit allen Beteiligten zu diskutieren, nachdem nämlich das Planver­fahren Elbvertiefung im September durchgeboxt sein soll, macht HPA nicht glaubwürdig. Sie rufen "Seht unsere neuen grünen Kleider", dabei sind sie splitternackt.
 


Informationsquellen

  1. Beweissicherungsdatenbank; WSA Hamburg und Cuxhaven, HPA; http://www.cux.wsd-nord.de/htm/zustimm.htm
  2. Peilungs- und Vermessungsdaten, xyz-Datensätze ASCII-Format, persönliche Mitteilung WSA Hamburg
  3. Clark University, Worcester, Massachusetts; Idrisi GIS; http://www.clarklabs.org/
  4. Bundesanstalt für Wasserbau, Außenstelle Küste; ELBEÄSTUAR Compact Disc  Version 4.0; Material im Planfeststellungsverfahren "Fahrrinnenanpassung" 1997
  5. Eichweber (WSD Nord), Vortrag "Hydromorphologie der Elbe"; in Workshop ARGE ELBE, Okt. 2005, Hamburg
  6. Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Internet
    http://www.wsa-hamburg.wsv.de/
  7. HPA; Umlagerungsberichte Baggergut 2002 bis 2005
  8. Bundesanstalt für Gewässerkunde: Umweltrisikoeinschätzung und FFH-Verträglichkeitseinschätzung für Projekte an Bundeswasserstraßen (gemeint ist die geplante Elbvertiefung), März 2004; http://www.zukunftelbe.de/import/Umweltvertraeglichkeit.pdf
  9. Wassergütemessnetz des Instituts für Hygiene und Umwelt; https://gateway.hamburg.de/HamburgGateway/FVP/Application/Index.aspx
  10. HPA und WSD Nord; "Konzept für eine nachhaltige Entwicklung der Tideelbe als Lebensader der Metropolregion Hamburg", Hamburg, Juni 2006

erstellt Juli 2006


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schnapp2.gifAnalyse der Sauerstoffmangelperiode Sommer 2005

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