Was geht da unten in der Elbe vor?
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BILANZRAUM (s. Karte 6) | Abtrag Kubikmeter |
Auftrag Kubikmeter |
Saldo Kubikmeter |
Abtrag Meter |
Auftrag Meter |
Saldo Meter |
geesthacht bis bunthaus | -1,446,110 | 1,824,910 | 378,800 | -0.35 | 0.40 | 0.04 |
hauptstrom finkenwerder bis schweinssand | -863,935 | 1,932,065 | 1,068,130 | -0.50 | 0.80 | 0.26 |
delegationsstrecke wittenbergen | -788,825 | 731,800 | -57,025 | -0.53 | 0.69 | -0.02 |
hahnoefer nebenelbe und nesssand | -957,995 | 418,465 | -539,530 | -0.26 | 0.15 | -0.08 |
wsa hamburg ab km 639 bis nordspitze luehesand | -3,554,100 | 1,951,180 | -1,602,920 | -0.38 | 0.28 | -0.10 |
unterhalb luehesand bis nordspitze schwarztonnensand | -4,210,045 | 10,031,145 | 5,821,100 | -0.30 | 0.34 | 0.13 |
von schwarztonnensand bis nordspitze rhinplate | -1,555,745 | 4,473,370 | 2,917,625 | -0.19 | 0.32 | 0.13 |
rhinplate bis km 689 wsa cuxhaven | -3,976,610 | 9,548,810 | 5,572,200 | -0.32 | 0.44 | 0.16 |
km 689 bis westufer nok | -6,444,835 | 4,745,495 | -1,699,340 | -0.54 | 0.40 | -0.07 |
nord-ostsee-kanal bis cuxhaven alte liebe mit medem | -44,974,545 | 45,458,640 | 484,095 | -0.58 | 0.41 | 0.00 |
aussenelbe | -48,131,150 | 47,274,265 | -856,885 | -0.41 | 0.18 | 0.00 |
Tab. 1 Bilanz des Sedimentauf- und Abtrags zwischen 2004 und 2003 auf ausgewählten Flächen
Diagr. 1 Bilanz des Sedimentauf- und -abtrags zwischen 2004 und 2003 auf ausgewählten FlächenBILANZRAUM (Karte 6) | Abtrag Kubikmeter |
Auftrag Kubikmeter |
Saldo Kubikmeter |
Abtrag Meter |
Auftrag Meter |
Saldo Meter |
geesthacht bis bunthaus | -4,257,595 | 1,901,360 | -2,356,235 | -0.83 | 0.56 | -0.28 |
hauptstrom finkenwerder bis schweinssand | -3,229,145 | 2,020,590 | -1,208,555 | -1.22 | 1.40 | -0.30 |
delegationsstrecke wittenbergen | -1,287,720 | 1,251,635 | -36,085 | -0.90 | 1.12 | -0.01 |
hahnoefer nebenelbe und nesssand | -2,896,270 | 604,350 | -2,291,920 | -0.68 | 0.28 | -0.36 |
wsa hamburg ab km 639 bis nordspitze luehesand | -8,375,885 | 1,921,030 | -6,454,855 | -0.81 | 0.33 | -0.40 |
unterhalb luehesand bis nordspitze schwarztonnensand | -10,655,520 | 14,561,445 | 3,905,925 | -0.58 | 0.57 | 0.09 |
von schwarztonnensand bis nordspitze rhinplate | -4,665,885 | 9,939,605 | 5,273,720 | -0.52 | 0.76 | 0.24 |
rhinplate bis km 689 wsa cuxhaven | -10,760,635 | 17,792,475 | 7,031,840 | -0.79 | 0.87 | 0.21 |
km 689 bis westufer nok | -6,716,935 | 7,832,335 | 1,115,400 | -0.58 | 0.63 | 0.05 |
nord-ostsee-kanal bis cuxhaven alte liebe mit medem | -142,255,775 | 135,533,950 | -6,721,825 | -1.59 | 1.35 | -0.04 |
aussenelbe | -231,782,130 | 166,802,475 | -64,979,655 | -1.02 | 1.08 | -0.17 |
Tab. 2 Bilanz des Sedimentauf- und Abtrags zwischen 2004 und 1998 auf ausgewählten Flächen
Diagr. 2 Bilanz des Sedimentauf- und Abtrags zwischen 2004 und 1998 auf ausgewählten Flächen
In den Angaben von HPA und der WSA wurden bisher die durch Baggerung und Verklappung bewegten Sedimentmengen bilanziert. Hier hingegen wird berechnet, wieviel Sediment in allen Watt- und Wasserzonen umgeschichtet wird. Wie zu erwarten ist der Umschlag im Mündungsbereich weitaus am höchsten. Jedoch schon im Abschnitt von Geesthacht bis Bunthaus, der Binnenwasserstrasse, wurden in einem einzigen Jahr (von 2003 auf 2004) 1.4 Mio. m3 ab- und 1.8 Mio. m3 aufgetragen, so dass der Saldo von 400 000 m3 einen mittleren Zuwachs von 4 cm ergibt. In Anbetracht der hohen Umschlagsmengen können "geringe" Änderungen auf Seiten von Ab- oder Auftrag den Sedimentverlust bzw. -gewinn eines Abschnitts stark beeinflussen. In welche oder aus welcher Richtung der Saldo bewegt wird, kann aus unseren Bilanzen nicht bestimmt werden. Vermutlich kann sich auch dies von Jahr zu Jahr entscheidend ändern. So gesehen kann der Anstieg der Baggermengen im Hafen ein Zufall sein. Dass ein Trend vorliegt, wird aus anderen Beobachtungen plausibel erklärt.
Die Erwartung, dass strömungsarme Zonen - Watt, Flachwasser und Hafenbecken - aufgehöht werden, wird bestätigt. Doch kommt es hier auf die speziellen Bedingungen des Einzelfalls an. Die zeitliche Dichte und Kontinuität der Peildaten sowie der Mangel an räumlich scharfen Angaben der künstlich bewegten Mengen lassen nicht zu, flächendeckend für den ganzen Untersuchungsraum Trends zu bestimmen. Deshalb werden hier einige gut vermessene Beispiele von Erosion und Verlandung näher betrachtet.
Auf der Strecke von Wedel bis zum Lühesand wurden zwischen 2003 und 2004 1.6 Mio. m3 Sediment per Saldo ausgetragen, vor allem aus Fahrrinne und Tiefwasser. Eine Unterhaltungsbaggerung war nach dem Profil 2003 eigentlich nicht nötig, die Solltiefe eingehalten. Die Elbe hat sich in diesem Abschnitt selbst vertieft, obwohl am östlichen Ende der Strecke, an der Landesgrenze, von HPA ca. 6 Mio. m3 aus dem Hafen hinzugefügt wurden. Ob das Material mit der Flut zurück in den Hafen oder mit der Ebbe abwärts zum Pagensand verfrachtet wurde (wo starke Aufträge zu verzeichnen sind), lässt sich allerdings nicht ohne weitere Daten belegen. Die These von HPA (in 10), das von ihr selbst verklappte Baggergut werde durch "tidal pumping" postwendend in den Hafen geworfen, wird durch die qualitative - nicht quantitative - Computersimulation der BAW nicht bewiesen (die BAW hat ein gegenüber 1997 verbessertes Computermodell eingesetzt). Genauso gut erklärt das Modell der BAW, dass aus der Strecke unterhalb der Landesgrenze Sediment aufwärts transportiert würde, selbst wenn HPA nichts verklappen würde. Es ist reines Wunschdenken von HPA, man müsse das Baggergut nur weit draussen in die Nordsee werfen, dann könne es nicht mehr in den Hafen zurück. In der Elbe vor den Toren Hamburgs ist so viel Sediment unterwegs, dass der Transport in den Hafen sicher nicht abreisst.
Nicht alle Tiefwasserzonen werden erodiert, sondern es sind z.T. massive Einträge erkennbar (Karte 5 und 7). Wäre es anders, müsste nicht mehr gebaggert werden. Aus den langjährigen Erfahrungen haben die WSA in den Beweissicherungsdaten eine Karte dargestellt, welche Volumina pro Stromkilometer im Mittel entfernt wurden. Auf der im vorigen Absatz beschriebenen Strecke von 12 km wäre demnach eine Baggerung von 800 000 m3 zu erwarten. Vor Glückstadt jedoch gibt es eine Strecke von 7 Stromkilometern a` 400 000 m3 = 2.8 Mio. m3 Baggervolumen.
Karte 7 Baggermengen pro Stromkilometer, Beweissicherung Elbvertiefung 1997 (1)
Eichweber (WSD Kiel)(5) erklärt die Elbe als ein mit der Tidewelle und ihren Obertönen schwingendes System wie ein Blasinstrument. An den Schwingungsknoten findet man Schwerpunkte der Sedimentablagerung, die umso markanter hervortreten, je weniger die Schwingungen wegen der Vertiefung der Rinne und Streckung von Kurven gedämpft werden. Nach Eichwebers Theorie wäre die Bildung bzw. Verlagerung eines Knotens im Hafen denkbar, denn die Tide kann, seit der Vertiefung und der Airbus-Erweiterung noch weniger behindert, bis Altenwerder durchschwingen. Für Eichwebers Theorie (der den Hafen in seinen Arbeiten ausklammert) spricht auch, dass die größten Volumina der Baggergutvermehrung aus dem Stromrinnen Norderelbe, Süderelbe und Köhlbrand stammen (7).
Das Mühlenberger Loch wurde nach der Abtrennung der Alten Süderelbe vor vierzig Jahren zu einer Sackgasse, in die mehr Sediment hinein- als hinausgespült wird. Es wurde befürchtet, durch die weitere Strömungsberuhigung durch den Bau der Airbus-Halbinsel und den vermehrten Sedimenttransport durch die höhere Strömungsgeschwindigkeit in der Fahrrinne werde das östliche Mühlenberger Loch vollends verlanden.
Karte 8 Differenz Tiefenmodell 2004 - 2003; die Skala ist auf +- 1 m beschnitten, in der Fahrrinne, an den Klappgruben und auf der Airbus-Erweiterung treten größere Unterschiede auf. Eingezeichnet sind die unten beschriebenen Profilschnitte und die Bilanzfläche im Südosten des Mühlenberger Lochs.
Gut erkennbar ist der Abtrag (grün) in der Fahrrinne unterhalb der Hamburger Landesgrenze. Das hier aus dem Hafen verklappte Baggergut setzt sich nicht ab, sondern wird zunächst einmal mit der Strömung abtransportiert. Am Nordrand des Nessandes und des Mühlenberger Lochs sind die Aufhöhungen (magenta) durch die Füllung der Klappgruben sichtbar. Auf der in der Karte markierten Fläche im Südosten zwischen Airbus-Halbinsel und Estemündung wurden ohne gezieltes menschliches Zutun von 1998 bis 2004 950 000 m3 abgelagert, somit im Durchschnitt um 56 cm erhöht, davon allein von 2003 bis 2004 21 cm.
Diagr. 3 Histogramm der Südost-Ecke Mühlenberger Loch, Zahl der Pixelflächen mit jeweiligem Ab-/Auftrag von 1998 bis 2004
Im Profilschnitt wird zusätzlich sichtbar, dass vor der künstlichen Aufschüttung der Airbus-Halbinsel auf dieser Wattfläche ein ebenso starker Auftrag stattfand. Nach Wegfall der Fläche muss das Volumen an anderer Stelle sedimentiert sein. Die Ausgleichsrinne zur Hahnöfer Nebenelbe leidet an Verstopfung, kaum dass sie angelegt wurde.
Diagr. 4 Profilschnitt durch die Tiefenmodelle von Südost Mühlenberger Loch nach Blankenese
Diagr. 5 Profilschnitt durch die Tiefenmodelle von Hahnöfer Sand nach Wittenbergen
Das Diagramm 5 zeigt eine Vertiefung der Hahnöfer Nebenelbe nach 1998, vermutlich durch die stärkere Durchströmung zur Ausgleichsrinne. Das Bett der Nebenelbe ist dadurch nicht mehr als Flachwasser anzusprechen. Zwischen Nesssand und Fahrrinne wurde durch Verfüllen einer Klappgrube mit Aushub der Vertiefung eine Flachwasserzone geschaffen, die jedoch in ihrer Lage nicht breit genug sein darf, um die Funktion als sauerstoffaktive Zone zu erfüllen. Der Boden der Fahrrinne ist wegen der Riffel stark gegliedert und nach 1998 erkennbar abgesenkt. Das Elbufer bei Wittenbergen fällt steil zur Fahrrinne ab. Zwischen der Niedrigwasserlinie bei minus 1.5 m NN und der Fahrwassertiefe von - 16 m NN liegt eine Distanz von 50 m. Wegen der Verengung des Flussbetts am Leuchtturm Wittenbergen wird die Tideströmung zusätzlich beschleunigt. Hier zum Elbebadetag 2002 aufzurufen war erschreckend leichtsinnig.
Entscheidend für die Sauerstoffversorgung der Tideelbe in der warmen Jahreszeit ist, dass Algen wachsen oder zumindest überleben können. Die "Dunkelstresstoleranz" von Algen muss hoch sein, weil sie nachts eine Periode von ca. 10 Stunden Dunkelheit überstehen müssen. Nicht zuletzt ihre eigene Masse trübt das Gewässer (Sichttiefe in der Elbe ca. 50 cm) und nimmt das lebensnotwendige Licht. Durch die Turbulenz im Wasser ist eine Alge mal oben im Hellen, mal unten im Dunkeln. In Flachwasserzonen, dem Bereich von der Mittleren-Tideniedrigwasser-Linie (MTnw) bis 2 Meter abwärts, ist die Beleuchtungsdauer ausreichend, dass die Algen leben, in tieferem Wasser wie der Fahrrinne und Hafenbecken sterben sie. In ihrer Umweltrisikoabschätzung für die geplante nächste Elbvertiefung (4) gibt die Bundesanstalt für Gewässerkunde den Flachwasserzonen das höchste Gewicht für den Sauerstoffhaushalt der Elbe. Im Watt leben Algen auf dem Boden und produzieren zwar Sauerstoff, doch wirkt die hohe Zehrung von aufgewirbeltem Schlick dem entgegen. Das Algen-Artenspektrum von Watt und Flachwasser überlappt sich nur zum Teil, so dass das Watt keine Algenreserve liefert und für die Sauerstoffversorgung des ganzen Gewässers nicht die entscheidende Rolle spielt, wohl aber einen Puffer je nach Überflutungsdauer bietet. Seit der letzten Elbvertiefung 1998 sind im Hamburger Hafen jedes Jahr "Sauerstofflöcher" aufgetreten, die z.B. im Fischbestand erheblichen Schaden anrichten. Die Daten des Wassergütemessnetzes (9) beweisen, dass aus der Oberelbe eingeschwemmte Algen im Hafen quantitativ absterben. Das führt zu der Frage, ob eine Veränderung der Flachwasserzonen unterhalb des Hafens die Regeneration des Algenbestands be- oder gar verhindert. Generell haben alle Fahrrinnenvertiefungen zu einer Absenkung des MTnw und so zu einer Vergrößerung der Wattflächen zu Lasten der Flachwasserzonen geführt. Durch die Verlandung des Mühlenberger Lochs, s.o., ist die Dauer des algenfeindlichen Trockenfallens von Wattflächen verlängert. Von der Ausgangssituation 1992, Massstab vor der Vertiefung 1998, bis 2004 haben sich Flächeninhalt und -form wie folgt geändert:
Karte 9 Flachwasserzonen 1992 (Referenzkarte
aus der Beweissicherung) und 1998 (Ableitung aus Tiefenmodell Tideelbe)
Karte 10 Flachwasserzonen 1998 und 2003
(Ableitung aus Tiefenmodell Tideelbe)
Karte 11 Flachwasserzonen 1998 und 2003 (Ableitung aus Tiefenmodell Tideelbe)
Man sieht deutliche Flachwasserverluste seit 1992 und nur geringe Gewinne nach der Vertiefung durch die Verfüllung von Klappgruben. Die Flächen 1992/98 waren überdies kompakter als die schmalen langgestreckten Reste 2004. Die Ausgleichsrinne zur Nebenelbe hat z.B. ein zusammenhängendes Gebiet in zwei Streifen geteilt. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit sehr erhöht, dass eine Alge entweder aufs Watt geworfen oder ins Tiefwasser verwirbelt wird und als Sauerstoffproduzent ausfällt.
Nicht lebensgefährlich wie für Fische, aber ökonomisch schmerzhaft ist die Verlandung von Sportboothäfen. In der Billwerder Bucht wird Schlick wie in einem Sack gesammelt.
Karte 12 Billwerder Bucht, Sedimentauf- und -abtrag von 2003 bis 2004
Die Bilanz für die Billwerder Bucht ergibt für nur ein Jahr von 2003 auf 2004 einen Abtrag von - 77 000 Kubikmeter (grün), einen Auftrag von 203 000 m3 (magenta), mithin einen Saldo von +126 000 m3, d.h. eine durchschnittliche Auflandung von 11 cm auf der gesamten Fläche. Für die Güter-Binnenschiffe, die z.B. die Kohle zum Kraftwerk Tiefstack bringen, sind wenige grüne Vertiefungen zu beobachten, während die Sportboothäfen durchweg unter der Verschlickung leiden. Die Bergedorfer Zeitung berichtete im November 2005:
Während HPA den Hamburger Hafen in Existenznot sieht, die mit der 8 Mio. € pro Jahr teuren Verklappung von Baggergut in die Nordsee abgewendet werden soll, sieht das Amt im Holzhafen "kein wirtschaftliches Interesse", die Nutzer sollten auf eigene Kosten baggern. Die Betreiber von Sportboothäfen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben wenigstens ihre Landesregierungen im Rücken, die der FHH einen Entschädigungsfonds abpressen. Das kleinliche Geschacher und das Abstreiten jeder Verantwortung der Wirtschaftsbehörde in diesem Fall lässt ahnen, wie man dort mit weiteren Einwänden gegen die Elbvertiefung umgehen wird.
Karte 13 Digitales Tiefenmodell Tideelbe 2004, Ausschnitt Medemgrund, 3D-Darstellung überhöht
Karte 14 Differenz Tiefenmodell 2004 - 2003; die Skala ist auf +- 1 m beschnitten. Eingezeichnet sind Profilschnitte
Im Kartenausschnitt wurden in einem Jahr je 45 Mio. m3 Sediment ab- bzw. aufgetragen. Eine seit Jahren zu beobachtende Verlagerung von Medemgrund und Medemrinne nach Norden auf Kosten des Medemsands ist in der Karte und im Profilschnitt erkennbar.
Diagr. 6 Profil von Groden (Nds.) bis Friedrichskoog (S-H.) über die Digitalen Tiefenmodelle 1998, 2003 und 2004
Diagr. 7 Profil von Groden (Nds.) bis Friedrichskoog (S-H.) über die Digitalen Tiefenmodelle 1998, 2003 und 2004, Detail niedersächsisches Ufer
Im Detail des Profils wird am niedersächsischen Ufer eine
zunächst nur kleine Veränderung angezeigt. Zwischen Fahrrinne und Deich
bildet sich von Otterndorf bis Cuxhaven eine schmale Rinne. Nur 200 m
vom Deichfuß entfernt ist eine in nur wenigen Jahren entstandene 3 m
tiefe Einkerbung Anlass, sich Sorgen zu machen, wenn man hinter diesem
Deich wohnt.
Hauptsache, Fahrrinne und Hafen werden ausgebaut, denkt HPA schon immer. Der größere Tidenhub, die kürze Laufzeit der Tidewelle, höher auflaufende Sturmfluten - das alles ist nicht erst seit der letzten Vertiefung 1998 bekannt. Für die negativen Folgen gibt es Experten, die berechnen, wie man ausgleichen und abfedern kann. Das machte das Planverfahren 1997 komplizierter denn je. Wie bei der Konstruktion eines neuen Autos wird ein "Elchtest" gemacht, ob es bei einem Ausweichmanöver weiterfährt oder umfällt. Ist der Test bestanden, konstruieren die Ingenieure gleich ein schnelleres und noch besser gefedertes Auto. Die Elbe sei nicht umgefallen, meint HPA, und schon wird eine weitere Vertiefung geplant, mit noch aufwändigeren Computersimulationen und Ausgleichsmaßnahmen.
Sauerstofflöcher plagten die Tideelbe bis Anfang der 90er Jahre, bis auch Hamburg ein Klärwerk gebaut hatte, das diesen Namen verdiente. Nach der Vertiefung 1998 traten die Sauerstofflöcher in zunehmender Schärfe wieder auf. HPA überließ es der Umweltbehörde, das Unwort "Sekundärverschmutzung" zu propagieren, die Oberlieger würden die Algen im Fluss durch Überdüngung aufpäppeln, so dass der Überschuss dieser Biomasse zuviel Sauerstoff im Hafen zehre. Die Elbe fiel um, und HPA plante ungerührt die nächste Vertiefung. Alarm bei HPA löste erst die Vervierfachung der Baggermenge in Hamburg aus - ökologisch eher nebensächlich. Wenn etwas Geld kostet, muss HPA gegensteuern, die Elbe zähmen, im härtesten Elchtest aller Zeiten sie bis in die Mündung ummodeln. Dazu haben HPA und die WSD Nord ein "Konzept für eine nachhaltige Entwicklung der Tideelbe als Lebensader der Metropolregion Hamburg" vorgelegt, in dem sie beanspruchen:
"sowohl den wirtschaftlichen Nutzen, den Hochwasserschutz, wie auch die ökologischen Ziele mit denselben Maßnahmen zu verfolgen. Es gibt entlang der Tideelbe Gebiete, mit deren Umgestaltung im Laufe der kommenden Jahrzehnte viele natürliche Prozesse im win-win-Prinzip mit ökonomischen Zielen positiv beeinflusst werden können." (10)
Ein hoher Anspruch, allen Gutes zu tun, setzt voraus, die Scheuklappen der Verwaltungszuständigkeit abzulegen und den Patienten Tideelbe als Ganzen zu analysieren. Bei der Diagnose ist HPA wenig sorgfältig vorgegangen und zu krassen Fehleinschätzungen gekommen.
HPA nimmt die in Hamburg vervielfachte Baggermenge zum Anlass, Maßnahmen an der ganzen Tideelbe zu fordern. HPA gibt für 1990 bis 1999 Baggermengen zwischen 1 und 2 Mio. m3 pro Jahr an. Ab 2000 schießt das Volumen bis über 9 Mio. m3 in die Höhe. (7)
Die Baggermengen der WSA Hamburg und Cuxhaven werden nicht einmal erwähnt. In der Elbe unterhalb Hamburgs hat sich die Baggergutmenge keineswegs dramatisch entwickelt. Zwischen 1985 und 2000 schwankten die Unterhaltungsbaggerungen zwischen 7 und 16 Mio. m3, davon im Abschnitt des WSA Hamburg von Stromkilometer 639 bis 689 zwischen 2.5 bis 12.5 Mio. m3 (6). Das WSA Hamburg verzeichnete in der Folge Werte, die im Rahmen der jährlichen Schwankungen liegen und keinen Trend anzeigen.
Jahr Mio. m3
2000 4.5
2001 4.6
2002 3.5
2003 3.9
2004 5.7
Weder WSA noch HPA haben die Auf- und Abträge ausserhalb von Fahrwasser und Hafenbecken bilanziert und versucht, sich ein Bild von den Sedimentbewegungen zu machen, obwohl sie dieselben Daten besitzen, die "Rettet die Elbe" benutzt.
Ursache des Stromauftransports von Sediment in den Hafen ist nach HPA das "tidal pumping", dass die Flut nämlich mit schnellerer Strömung auf- als die Ebbe abläuft. Dadurch würde das an der Landesgrenze verklappte Baggergut postwendend in den Hafen zurückgeworfen, statt sich mit der Ebbe stromab zu verteilen. Die Tidepumpe lief schon vor der letzten Vertiefung.
Karte 15, Animation
Strömungsrichtung und -geschwindigkeit zwischen Schulau und Hafen,
Referenzzustand 1992, Computersimulation BAW zur Elbvertiefung 1997
(4), zusammengestellt von "Rettet die Elbe"
Die Tidepumpe arbeite heute mit einem höheren Hub und setze mit der Flut härter ein, so erklärt HPA's Baggergutmanager Glindemann bei jeder Gelegenheit der Öffentlichkeit, wodurch nicht nur schlickige Schwebstoffe, sondern auch der schwerere Sand in die falsche Richtung - aus Sicht von HPA - bewegt würden. Die Umlagerungsberichte von HPA schlüsseln das Baggergut nach Schlick und Sand auf, und sie widerlegen HPA's These.
Diagr. 9 Baggergutmasse aus dem Hamburger Hafen nach Art der Beseitigung und Korngröße, aus Umlagerungsberichten 2002 bis 2005, HPA (7)
Man beachte die jeweils rechte Säule eines Jahres: es ist die verklappte Schlickmenge (blau), die sich 2004 und 2005 gegenüber den Vorjahren verdoppelt hat.
Bei der Erklärung des höheren Tidehubs nimmt das Konzept von HPA eine überraschende Wende:
"So sind in dem seit jeher von Erosion und Sedimentation geprägten dynamischen System in den letzen Jahren verstärkt Tendenzen zur Aufweitung des Mündungstrichters zu beobachten. Die Ursachen hierfür sind heute noch nicht abschließend geklärt. Durch die Aufweitung der Mündung kann mehr Tideenergie in das Ästuarsystem vordringen." (10)
HPA hält es nicht für nötig, die angebliche Aufweitung des Mündungstrichters zu belegen. Weder dies noch das Gegenteil ist aus den Peildaten abzuleiten. Eichweber (5) behauptet eine langfristige Aufweitung der Mündung, schränkt aber ein, mangels vergleichbarer Peildaten gäbe es keinen zwingenden Beweis. HPA versucht, eine Drohkulisse aufzubauen, der Blanke Hans dringe mit ungehemmter Flut-Energie in die Elbe ein, und deshalb müsse man Barrieren in der Mündung errichten. Der größere Tidenhub - und zwar in Hamburg, nicht in Cuxhaven - ist jedoch im Laufe der Fahrrinnenvertiefungen vor allem durch die tiefer ablaufende Ebbe eingetreten. Das Wasser läuft rasch durch die Fahrrine ab, wenn die Watten schon trockengefallen sind. Vor 150 Jahren lagen die Niedrigwasserpegel in Hamburg und Cuxhaven 1.50 m auseinander, heute nur noch 30 cm. Früher hatte der Fluß Elbe noch ein Gefälle, heute ist ihre Mündung aufwärts gerückt und gleicht einer Meeresbucht. Die Süßwassergrenze wurde in den letzten 50 Jahren von Glückstadt 20 km aufwärts verschoben. Wollte man den Tidenhub dämpfen, muss man das ablaufende Wasser auf der ganzen Stromlänge behindern. Eine Vertiefung der Rinne bewirkt mit Sicherheit das Gegenteil.
Inseln in der Elbmündung hält HPA für die Rettung, die Tide zu dämpfen und gleichzeitig das Baggergut in ihnen zu deponieren, fürwahr eine win-win-Idee (10). Für den Ökologen stellt sich aber noch die Frage, ob es "design with nature" ist oder gewaltsame Verbauung. Warum haben Elbe, Weser und Schelde leere Mündungstrichter und nur der Rhein ein Delta? Nun, die Elbe hat auch ein Delta, aber weit im Binnenland. Dass es hier liegt und nicht direkt an der Küste, ist aus der Entstehungsgeschichte zu erklären. Nach der letzten Eiszeit, in der der Meeresspiegel 200 m tiefer lag und die Küstenlinie zwischen Schottland und Norwegen verlief, bildete sich mit dem Anstieg des Meeresspiegels die Nordsee. Die Elbe führte immer weniger Wasser, je mehr die sie speisenden Gletscher verschwanden. Die von der Mündung einlaufende Flut und das Oberwasser prallten im Hamburger Raum aufeinander, und in der Wasserstillstandszone bildeten sich Inseln, die den Strom in viele Arme teilten. Die Menschen nutzen seit 800 Jahren die Inseln (Werder) als bedeichte Polder. Wäre das nicht geschehen, ließe man Oberwasser, Ebbe und Flut ihren Lauf, würde sich das Delta bei weiterem Meeresanstieg und - wegen Klimawandel - sinkender Wasserspende aufwärts verlagern. Inseln in der Elbmündung sind gegen den Trend, sie waren es schon immer.
1630 veröffentlichte der Kartenverleger Willem Blauw eine Karte, die nach den damaligen Vermessungstechniken recht genau die Elbmündung mit ihren Sänden, den Fahrwassertonnen und Tiefenangaben (in Faden = 1.63 m) beschreibt. Es gibt nur eine Insel, das schon damals befestigte Neuwerk.
Karte 16 Elbmündung 1630, Willem Blauw, Amsterdam
In Satellitendaten, die von der NASA im Internet zur Verfügung gestellt werden, werden in den Aufnahmen zwischen 1976 und 2001 Inseln nur neben der Mündung bemerkt - Neuwerk, Nigehörn, Scharhörn und Trischen. Die sagenumwobene Medeminsel ist zu klein und flüchtig, um sie zu identifizieren. Die Karten wurden aus den Farbbändern "blau, sichtbares Licht", "grün, sichtbares Licht" und "nahes Infrarot" kombiniert, weil so trübes und klares Wasser sowie Flächen mit oder ohne Vegetation - Insel oder Sandbank - gut zu unterscheiden sind.
Karte 17 Landsat Aufnahme 1976
Karte 18 Landsat Aufnahme 1995
Karte 19 Landsat Aufnahme 2000
Karte 20 Landsat Aufnahme 2001
Die Aufnahmen unterstreichen ebenfalls die Dynamik von Tide und Sedimenten. Hier hinein Inseln zu bauen, die auch noch einen berechneten Zweck erfüllen sollen, ist ein tollkühnes Unterfangen. Zur Warnung sei nochmals auf die Strömungssimulation der BAW hingewiesen.
Karte 21 Animation Strömungsrichtung und -geschwindigkeit im Medemgebiet, Referenzzustand 1992, Computersimulation BAW zur Elbvertiefung 1997 (4), zusammengestellt von "Rettet die Elbe"
Unter dem Aspekt, Inseln in dem Gebiet zu bauen, achte man auf die Stellen, wo Wattflächen trocken liegen. Zwischen Watt und dem nächstgelegenen Ufer wird die Strömung wie in einer Düse beschleunigt, da das Wasservolumen ja entsprechend der Pegeldifferenz nach Druckausgleich strebt. An solchen Stellen wird man durch eine Vertiefung der Fahrrinne und Inseln größte Probleme bekommen, etwa, dass sich der Sedimentumschlag auf Flächen richtet, die man stabil halten will, oder gar die Düse auf einen Deich zielt.
Unsere Auswertungen zeigen zunächst ein erweitertes Bild der
Tideelbe und bieten Erklärungen, wie es zu bestimmten Problemen kommt
bzw. wie man sie vermeidet. Problemlösungen erwarten wir von der
Politik, doch die vermissen wir im "Konzept für eine nachhaltige
Entwicklung der Tideelbe als Lebensader der Metropolregion Hamburg"
von HPA. Die Flussaue aufzuweiten, um durch Rückdeichung Vorland, Watt
und Flachwasserzonen zu vergrößern, das wollten alle gern. Eine
Problemlösung wird aber erst daraus, wenn die Wirtschaftsbehörde sehr
viel Geld zum Kauf von Flächen bereit stellt und die privaten
Grundbesitzer überzeugt, dass es nicht nur des Hektarpreises wegen zum
Wohle aller ist. Doch sie will lieber Inseln in der Mündung bauen, weil
sie die Flächen billig bekäme. Aber
mit Knauserigkeit löst man keine Probleme.
Inseln in der Mündung stellen ein unkalkulierbares Risiko dar (s.
Sedimentbewegungen in dem Bereich) und schaffen neue Probleme
(Einengungen wirken wie Düsen). Eine Wirtschaftsbehörde, die ehrlich
umdenkt, wäre auch ein Teil der Lösung. Doch schon der Zeitplan, das
HPA „Konzept“ ab November 2006 mit allen Beteiligten zu diskutieren,
nachdem nämlich das Planverfahren Elbvertiefung im September
durchgeboxt sein soll, macht HPA nicht glaubwürdig. Sie rufen "Seht
unsere neuen grünen Kleider", dabei sind sie splitternackt.
erstellt Juli 2006