UMWELTATLAS HAMBURG


5. Das haben wir nun davon - Umweltzustände



Kapitelende

5.1 Die kranke Elbe

"Der meiste Dreck in der Elbe - über 95% - kommt aus der DDR und CSSR!" So oder so ähnlich steht es seit Jahren in den Veröffentlichungen der Umweltbehörde und der Presse. Auch jüngste Berichterstattungen über skandalöse Gifteinleitungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR bestätigen, was schon lange bekannt war: nämlich daß Hamburg "nur" am Ende einer langen Kette von Elbverschmutzern steht, entsprechend gering auch sein prozentualer Anteil an der Gesamtbelastung ausfällt. Die Handelskammer jubelt, "dieses Ergebnis wird den Kritikern den Mund stopfen" und meint damit genau diejenigen, die trotz allem nach wie vor die unzureichende Hamburger Umweltpolitik angreifen. Die Verantwortlichen dieser Politik können nun noch selbstgefälliger als bislang von den Schadstoffeinleitungen auf Hamburger Gebiet ablenken und das immer mit Blick auf die Oberlieger, denen der Schwarze Peter nun endgültig zugeschoben wird - offensichtlich erfolgreich, denn die Auffassung, daß es sich mehr lohne, in der DDR als hier in Umweltschutzmaßnahmen zu investieren, ist weit verbreitet. 

Soll das also heißen, daß sich das Hoch im Norden mit einer reinen Weste auszeichnen darf oder kann die Stadt Hamburg eigentlich nur froh sein, daß die Elbe nicht andersherum fließt? 

Ein Fluß ist nicht nur eine Abflussrinne

Eine andere Betrachtungsweise für eine konstruktivere und faire Politik gegenüber den Oberliegern als das Schwarze-Peter-Spiel von Senat und Handelskammer ist in der Broschüre "Ein Plan für die Elbe" des Förderkreises Rettet die Elbe beschrieben.
 
 

Abb. 5.1.1 Das Elbegebiet 

Die Geographie des Elberaums bestimmt zunächst einmal den Gegenstand des Plans für die Elbe. Die Karte umreißt das Niederschlagsgebiet, d.h. in diesem Raum fließt alles Regenwasser oberflächlich in die Elbe. Die Grundwasserscheide kann sich wohl davon unterscheiden. Der Wirkungsbereich in die Nordsee läßt sich vor der dänischen Küste weit nach Norden verfolgen. Das Niederschlagsgebiet ist jedoch die am besten handhabbare Größe. Polen und österreich besitzen nur kleine, unbedeutende Anteile am Niederschlagsgebiet und werden deshalb im weiteren vernachlässigt. Wissenschaftlich gesehen ist es einfacher, ökologische Daten des Einzugsgebiets zu bilanzieren, als sich auf den Hauptstrom zu beschneiden. Die Arbeiten der Arbeitsgemeinschaft zur Reinhaltung der Elbe (früher die Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, heute auch die neuen Bundesländer (aber nicht Berlin!) leiden an dem Handicap, daß die Verwaltungsvereinbarung die Nebenflüsse nicht bis ins Landesinnere erfaßt. Immerhin reicht der Unterelberaum im Norden bis fast nach Kiel und im Süden weit in die Lüneburger Heide. Das Geschehen dort läßt sich nur indirekt aus den Messungen an den Mündungen der Nebenflüsse erschließen. Das internationale Abkommen zum Schutz der Elbe (1990 zwischen Deutschland und CSFR mit Beteiligung der Europäischen Gemeinschaft geschlossen) erfaßt (formal) das Einzugsgebiet. 

Landschaft

Abb. 5.1.2 Vogelflugrouten Nordeuropas (aus Nordsee-Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen, 1980) 

Die Landschaften des Elberaums werden von einem reichen Spektrum wilder Pflanzen und Tiere bewohnt. Eine flächendeckende Bestandsaufnahme ist dringend notwendig, denn es besteht die Gefahr, daß durch Unwissen und Sorglosigkeit wesentliche Bestände oder gesamte Arten von Lebewesen von der Zivilisation verdrängt werden. Das Mündungsgebiet ragt auf diesem Sektor hervor. Hier konzentrieren sich die Wanderungszüge von Vögeln und Fischen. Für die durchziehenden Arten ist es Orientierungsmarke und Rastplatz, für andere Winterquartier, Brutgebiet oder Laichplatz. Die Tiere befinden sich zudem in einem empfindlichen Zustand, erschöpft von der Wanderung, in der Mauser oder als Jungtiere. Belastungen, ob permanent oder katastrophenartig wie ein ölunfall, vernichten hier nicht nur Individuen, sondern ganze Populationen. 

Oberhalb des Mündungstrichters liegen weite Gebiete, die trotz rücksichtsloser Plünderung der Umwelt durch die DDR-Regierung in einem Nationalpark-würdigen Zustand verbleiben sind. Die Elbaue um Wittenberge, die Mecklenburger Seenplatte (Quellgebiet der Havel), der Spreewald, die Dessauer Aue und die "Sächsische Schweiz" sind jedoch gerade nach der deutschen Vereinigung Ziel gewerblicher und verkehrlicher Entwicklung (dazu zählt auch Tourismus). Die Eigenschaften des Elberaumes und ihr Zusammenwirken setzen dem Grenzen, deren Überschreitung auf Dauer Mensch und Umwelt schadet. Manche Probleme sind durch die Geographie geradezu vorprogrammiert. Das zu verstehen ist der erste Schritt auf einem gemeinsamen Weg aus dem Dilemma. 

Die Tabelle am Ende gibt einen Überblick über die wichtigsten Größen und Eigenschaften des Elbeeinzugsgebiets. 

Wasserhaushalt

Die Niederschläge, die den Wasserhaushalt speisen, liegen an der Küste bei 800 mm/Jahr und nehmen landeinwärts allmählich ab. In Berlin fallen im langjährigen Mittel 590 mm/a und in Prag nur noch 490 mm/a Regen. An den Kämmen der Gebirge treten natürlich sehr viel stärkere Niederschläge auf. Ein großer Teil des zugeführten Wassers verdunstet sofort oder später durch die Vegetation, von Wasseroberflächen und bei der Nutzung. Das, was versickert oder oberflächlich abfließt, ist vom Menschen nutzbar. An der Elbe ist das Maß letztlich, d.h. bei der Mündung in die Nordsee, 900 m3/Sekunde. Der Rhein hingegen bringt es auf 2.300 m3/s, also das 21/2fache. Nicht, daß das Einzugsgebiet so viel größer ist als das der Elbe, sondern das Klima, die extrem niederschlagsreichen Alpen, bewirkt diesen Segen. Die Bewohner des Elbegebiets müssen sparsam mit ihrem Wasser haushalten! 

Jedoch gilt das nicht gleichermaßen für alle, wenn man die Teilgebiete isoliert und egoistisch betrachtet. An der Unterelbe fällt mehr Regen, und er wird im Boden, d.h. den mächtigen Sand- und Schotterschichten, als Grundwasser gut gespeichert. In Böhmen hingegen läuft in den Bergen das Wasser schnell ab und in der Ebene regnet es wenig. Bei insgesamt knapper Wasserführung liegen die Hoch- und Niedrigwasserpegel extrem weit auseinander. Die Niedrigwasserführung aber setzt die Grenze für die Einleitung von Abwasser, nämlich wieviel Sauerstoff im Gewässer beim Abbau der Schmutzstoffe verzehrt werden kann, bevor es umkippt. Die Belastbarkeit liegt demnach in Prag niedriger als in Hamburg, anders ausgedrückt, es fällt hier weniger auf, wenn schlecht geklärt wird.
 
 

Abb. 5.1.3 Niederschläge im Gebiet der Elbe und des Rheins 

Wirtschaften mit dem, was man hat

Bei der Geologie tritt besonders hervor, daß CSFR und exDDR mit großen Braunkohlevorkommen ausgestattet und darauf angewiesen sind. Die Kehrseite des Bodenschatzes sind Umweltprobleme. Die einzig vergleichbar große Fördermenge der alten BRD findet man im rheinischen Braunkohlerevier - sowas besitzt die exDDR gleich mehrfach. Die Braunkohle liegt zwischen ergiebigen Grundwasserleitern. Um die Tagebaue trockenzulegen, muß man gewaltige Mengen Wasser abpumpen und stört so den schon angespannten Wasserhaushalt. Saure Abgase der Braunkohleverfeuerung treffen auf die Wälder der Randgebirge, die ihre Funktion, Wasser und Boden zu konservieren, dort am meisten einbüßen, wo sie bei steilen Hängen am wertvollsten ist. 

Abwassereinleitungen

Im Elbegebiet leben ca. 29 Mio. Menschen. Mehrere Ballungsgebiete sind auf der Einwohnerdichtekarte erkennbar. Die Karte repräsentiert das kommunale Abwasseraufkommen. Der Anschlußgrad an Kläranlagen und deren Leistung ist sehr unterschiedlich.
 
 

Abb. 5.1.4 Einwohnerdichte im Elbegebiet 

Der Industriebesatz erklärt spezifische Belastungen der Elbe mit Schadstoffen, Schwermetalle wie Blei, Kupfer, Cadmium und Arsen aus Buntmetallbergbau und -verhüttung, und chlororganische Verbindungen aus der chemischen Industrie. In die Karte wurden aus Dierckes Schul-Atlas die chemische und Buntmetall-Industrie übertragen. Die ehemalige DDR fällt als "Chemieland" auf. 

Abb. 5.1.5 Chemische und Buntmetall-Industrie im Elbegebiet; nach dem Zusammenbruch der DDR wurde ein Teil der Betriebe geschlossen; diese stellen als Altlasten immer noch eine Belastungsquelle dar. 

Der Elberat, ein Zusammenschluß von Umweltinitiativen, hat für den Umgang mit der Industrie folgende Kriterien aufgestellt: 

Um genug Einkommen zum Leben von 29 Millionen Einwohnern des Elbegebiets zu erwirtschaften, muß auch industriell produziert werden. Alle Konzepte, die hinter Aussagen wie "ökologischer Umbau" oder "Ausstieg aus der Chlorchemie" stehen, stoßen an diese Grenze. Die Existenz der Industrie steht nicht, die einzelner Branchen nur bedingt zur Debatte. Es geht um die öffentliche Kontrolle, wieweit das öffentliche Gut Umwelt vom Privateigentum an Produktionsmitteln genutzt werden darf. Kontrolle ist nur möglich, wenn die Firma ein "gläserner Betrieb" ist. 

Ökologische Bilanz 

Jeder Betrieb muß eine Bilanz aufstellen, welche und wieviel Rohstoffe, Energie, Wasser und Fläche er verbraucht, sodann, welche und wieviel Produkte und Abprodukte den Betrieb verlassen, und was letzlich damit in der Umwelt geschieht. In den meisten Fällen wird eine Darstellung der Altlasten dazugehören. Ist eine Altlast im Besitz einer Kommune oder anderen staatlichen Institution, gelten die Kriterien, als handle es sich um einen Betrieb, der "Sanierung produziert". Ein Schritt in diese Richtung wurde von allen Betrieben der ehemaligen DDR durch den Staatsvertrag gefordert. Sie hatten den Behörden die Bilanz aller ihrer genehmigungsbedürftigen Anlagen anzuzeigen. 

Programm zur Bilanzverbesserung 

Jeder Betrieb muß ein Programm aufstellen, wie er den Verbrauch von Ressourcen minimiert, die Wiederverwertbarkeit der Produkte erhöht, Abprodukte vermeidet oder vermindert und früher entstandene Lasten saniert. Der Betrieb berichtet regelmäßig über die Durchführung des Programms. 

Öffentliche Kontrolle 

Eine Verbesserung der ökologischen Bilanz wird weder durch reine Marktkräfte erzwungen noch durch staatliche Planwirtschaft. Eine öffentliche Kontrolle der Betriebe ist daher notwendig. üblich war bisher, daß einem Betrieb als Umweltbelaster eine Behörde als Genehmiger und überwacher gegenüberstand, mit geringem Erfolg für die Umwelt. Die Kontrollinstanz ist daher um die Beschäftigten des Betriebs und um interessierte Bürger zu erweitern. ökologische Bilanz und Programm müssen öffentlich ausgelegt, beraten und darüber entschieden werden. 

Kataster 

Es wird ein Kataster über die einzelnen ökologischen Bilanzen geführt, das letzlich bei der Internationalen Elbekommission zusammengefaßt wird. Das Kataster dient dazu, Prioritäten für gesetzliche Regelungen und die Verteilung von finanzieller Förderung zu setzen. Es ist selbstverständlich auch öffentlich.

Als Beispiele intensiver Landwirtschaftskulturen, aus denen Pestizide und Düngemittel in der Umwelt verbreitet werden, werden Weizen, Zuckerrüben und Obst/Gemüseanbau dargestellt. Aus dem Schuluntericht geläufig sind das Alte Land und die Magdeburger Börde.
 
 

Abb. 5.1.6 Ausgewählte Beispiele landwirtschaftlicher Intensivkulturen im Elbegebiet. 

Wasserstraße

Seit dem Anschluß der neuen Bundesländer fordern Reeder und Wirtschaftspolitiker einen umfassenden Ausbau der Elbe, um sie ganzjährig schiffbar wie den Rhein zu machen. Für einige wäre es ein äußerst profitables Geschäft, und so versuchen sie vorzugaukeln, es würden Arbeitsplätze geschaffen und der Elbausbau bringe den wirtschaftlichen Aufschwung. 

Doch die Elbe führt nur ein Drittel der Wassermenge, die im Rhein zur Verfügung steht. Um einen derartigen Schiffsverkehr zu tragen, müßte sie begradigt, aufgestaut, auf 2,80 m Tiefe ausgebaggert, die Ufer betoniert und gepflastert, kurz: zu einer Kette von Wasserbecken degradiert werden. Die heutigen ökologischen Probleme der Elbe würden verschärft und neue dazukommen: 

  • In einem Kanal mit geschotterten und betonierten Ufern wird die Selbstreinigung des Flusses sinken. Das, was aber noch an Abbau von Schmutzstoffen stattfindet, bewirkt in langsam fließenden Staustufen Sauerstoffmangel bis zum Umkippen des Gewässers.
  • Der Schlick, der für Vertiefung und Unterhaltung ausgehoben wird, ist so belastet, daß er auf Sondermülldeponien abgelagert werden muß.
  • Die Flußauen würden eingedeicht und bebaut. Die Lebensräume vieler Tier- und Pflanzenarten würden zerstört. Hochwasser, eingezwängt auf einen engen Talraum, würden mehr als zuvor drohen.
  • Die einseitige Ausrichtung auf die Schiffahrt ver- und behindert andere Nutzungen für den Menschen, nämlich Fischerei, Erholung und Trinkwassergewinnung. Letztere würde sicherlich auch teurer.
Die Alternativen zum Ausbau der Elbe sind vorhanden und können zu wesentlich geringeren Kosten, verbunden mit der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, verwirklicht werden: 
  • Die Schiffe müssen sich in Tiefgang und Geschwindigkeit den natürlichen Gegebenheiten anpassen. Nicht das Euronormschiff, sondern das Elbenormschiff ist gefragt.
  • Die Sicherungen beim Transport und Umschlag gefährlicher Güter müssen verstärkt werden.
  • Güter, die nicht sicher auf elbegerechten Schiffen befördert werden können, gehören auf die Bahn! Die Bahn verfügt bereits über große Transportkapazitäten bzw. bietet die Voraussetzungen, diese zu erweitern.

Weitere Folgen

Aus allen vorher genannten Nutzungen des Elbegebiets ergeben sich weitere Belastungen, z.B. eine im Vergleich mit der natürlichen schützenden Vegetationsdecke höhere Bodenerosion. Im Gebiet der exDDR hat man eine Zunahme um den Faktor 2,7 für die letzten 30 Jahre bestimmt (in der BRD hielt man das Problem bisher nicht für wichtig). Der Ausbau der Wasserstraßen - Staustufen, Uferbefestigungen, Ausbaggerungen, Vordeichungen, Kanalisierung - hat die Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere drastisch verändert. Schließlich hat die unmittelbare Produktion von Lebensmitteln aus dem Wasser, die Fischerei, auch Schäden angerichtet: der Stör wurde überfischt. Im Ganzen gesehen war jedoch die Fischerei zu den Leidtragenden der Elbbelastung zu zählen. Neben dem Stör wurden ausgerottet, und zwar nicht von den Fischern, der Lachs, der Schnäpel und die Rußnase(Zährte). Bedroht bzw. stark eingeschränkt sind die Finte (Elbhering), die Aalquappe und teils der Hecht. Die Einschränkungen des Lebens-, vor allem Laichraums machen diesen Arten am meisten zu schaffen. Trotzdem gibt es noch viele Fische in der Elbe, wenn es auch nicht mehr die leckersten (und für die Fischer lukrativsten) sind. Der Mündungstrichter vor allem bietet ein Fang-Potential von 300 kg Fisch pro Hektar und Jahr. Ergiebiger sind nur künstliche Fischteiche. Leider sind alle Elbfische so stark mit Schadstoffen angereichert, daß sie nach dem Lebensmittelgesetz nicht auf dem Markt verkauft werden können. Es sei denn, der Fischer hat sie beim Veterinäramt untersuchen und - was unwahrscheinlich ist - die Unbedenklichkeit feststellen lassen. Sicheres Zeichen für eine chronische Giftbelastung aller Fische ist, daß sie eine kranke Leber haben. 

Politikaster

Mit zwei Jahren Verzögerung hat die Umweltbehörde im Dezember 1990 wieder ein "Emissionskataster Wasser" herausgegeben. Jedoch hat sie die Pause nicht genutzt, eine realistische Bilanz zu ziehen. Wie bisher werden in Hamburg 
  • längst nicht alle Einleiter beprobt;
  • selbst die wichtigsten Einleiter nur sehr lückenhaft überwacht;
  • diffuse Einträge wie Staub, Regenwasser, Schadstoffe aus der Landwirtschaft usw. nicht gemessen.
An dem Vergleich verläßlich sind nur die Werte für die Oberlieger, weil am Grenzübergang rund um die Uhr Proben genommen und der Wasserabfluß gemessen werden. Die Einleitungsdaten aus Hamburg sind unvollständig und nicht repräsentativ für die wenigen beprobten Firmen (s. Kapitel Affi). Weil unterhalb Hamburgs die Frachtbestimmung schwierig ist wegen der Tide und Breite des Stroms, und weil nur sehr ungenau berechenbar ist, wieviel im Sediment erst einmal liegenbleibt, kann die Bilanz der Umweltbehörde nicht anhand des Outputs aus Hamburg gegengeprüft werden. 

Bis in die Analysemethoden hinein manipuliert die Umweltbehörde den Vergleich zugunsten Hamburgs. Wie sie das tut, beschreibt sie sogar in der Broschüre. Es wird z.B. geschätzt, wieviel Schwermetalle über den Luftweg/Regenwasser in die hamburgischen Gewässer gelangen. Zwei Seiten später werden diese Mengen (Spalte "Luftpfad") wieder weggelassen und nur die direkt als Abwasser (mit nicht repräsentativen Beprobungen) erhobenen Anteile aufgelistet. Aus dem "Strukturplan Abwasserentsorgung..." (s. Kap. 3.1.) erhält man eine ähnliche Frachtenbilanz, und zwar nur der Einträge aus Regenwassersielen ohne Staubniederschlag und Erosion. Auch dieses behördeneigene Gutachten wird tapfer ignoriert. Es ergäbe sich sonst folgendes unschöne Bild: 

Schwermetall Fracht 1989 in t
(%-Anteil der Gesamtlast derElbe)
  nur Abwasser Luftpfad Summe
Kupfer 9,0(3,1%) 16(5,4%) 25(8,5%)
Cadmium 0,2(2,7%) 0,5(6,8%) 0,7(9,5%)
Blei 2,3(1,9%) 6(5,1%) 8,3(7,0%)
Zink 13,0(0,5%) 33(1,3%) 46(1,8%)
Chrom 1,6(0,8%) 1(0,5%) 2,6(1,3%)
Nickel 3,6(1,7%) 4(2,0%) 7,6(3,7%)
Arsen 0,3(0,6%) 1(1,8%) 1,3(2,4%)
Auch bei dieser etwas wirklichkeitsnäheren Bilanz liegt die Vorbelastung über 90%. Doch berücksichtigt man, daß der hamburgische Schadstoffanteil von nur 5,5% der Einwohner auf 0,5% der Fläche des Elbeeinzugsgebiets erzeugt wird, steht Hammonia recht schmutzig da. Selbst bei optimaler Klärleistung in allen Teilgebieten würden aufgrund der höheren Einwohnerzahl prozentual mehr Schadstoffe aus dem Gebiet der DDR und CSFR eingeleitet als aus dem der BRD. Dies soll an einem fiktiven Beispiel erläutert werden. Angenommen, an einem Fluß liegen hundert Städte, die jede die gleiche Schadstoffmenge einleiten, z.B 1 Tonne pro Jahr. Wenn nun jede Stadt den eigenen Anteil an der Belastung des Flusses an ihrem Ort berechnet, wie es die Politik des Hamburger Senats ist, dann steht die erste Stadt hinter der Quelle ganz schlecht da, denn an dem Schmutz dort ist sie zu 100% schuld. Die zweite Stadt, bei der die Schadstoffracht aus der ersten ankommt, rechnet sich 50% zu, die dritte noch 33%, usw. Die letzte Stadt an der Mündung des Flusses erklärt sich für nur 1% der Schadstoffmenge von 100 Tonnen verantwortlich und beklagt die hochgradige Vorbelastung, die eigene Anstrengungen so sinnlos mache. Erst müßten die da oben was tun. Die wiederum zeigen wenig Interesse, weil ihnen ein sauberer Fluß unterhalb unmittelbar nicht zugute kommt. 

Die Lösung des Dilemmas ist, daß alle Städte sich gleichzeitig anstrengen müssen, ihren Eintrag zu mindern bzw. zu vermeiden. 

Wieso wird soviel Aufwand getrieben, wo doch schon aus der Anlage der Meßprogramme deutlich wird, daß die Ergebnisse wissenschaftlich nicht haltbar sind? Nun, wissenschaftlicher Unsinn ist nicht gleichbedeutend mit politischer Sinnlosigkeit. Der Senat und die Umweltbehörde stellen die unvollständige Hamburger Schadstoffracht bewußt den Ergebnissen von Schnackenburg gegenüber in der Absicht, die Hamburger Industrie und sich selbst vom Vorwurf der Elbverschmutzung zu befreien und die Schuld allein der exDDR und CSFR in die Schuhe zu schieben. Sowohl das Gefühl von Unabänderlichkeit als auch die Identifizierung eines stellvertretenden Schuldigen erspart den Verantwortlichen hierzulande eigene Anstrengungen und Kosten. 

Was getan werden sollte

Die Umweltbehörde Hamburg sollte ihre Meßstrategie nicht den Wasserbehörden der neuen Bundesländer andienen, denn sie ist trotz feinster Gerätetechnik nicht darauf angelegt, die Verschmutzer der Elbe zu identifizieren. Da werden nur neue Schuldige gesucht und den Schwarzen Peter ... kriegen die Tschechen. Statt in Schnackenburg steht die Vorbelastungs-Meßstation nämlich dann am Grenzübergang CSFR/Sachsen. Ohne ein neues Denken in der Gewässerschutzpolitik ist eine Sanierung der Elbe nicht zu erwarten. 

Die Abwässer, die von Industrie- und Gewerbebetrieben direkt in ein Gewässer eingeleitet werden, sollen sich orientieren an dem "Stand der Technik". Dieser beschreibt den möglichen Grad der Abwasserbehandlung mit auf dem Markt befindlichen Reinigungstechnologien. Mehrere hamburgische Großbetriebe halten diesen Standard noch nicht ein, auch wenn der Umweltsenator das immer wieder behauptet. 

Der "Stand der Technik" berücksichtigt allerdings nicht den Zustand und die Belastbarkeit des Gewässers. Unseres Erachtens wäre es neben der Abwasserbehandlung nach dem Stand der Technik und dessen ständige Anpassung an den "Stand von Wissenschaft und Forschung" notwendig, für besonders umweltschädliche, nicht abbaubare Stoffe wie z.B. Quecksilber, Cadmium, Blei, halogenierte Kohlenwasserstoffe u.ä. spezielle Vermeidungsstrategien umzusetzen, damit diese Stoffe überhaupt nicht mehr in Gewässer eingeleitet werden, z.B. durch Einleitungsverbote. Dazu ist die Umstellung von Produktionen und der Verzicht auf die Beimengung dieser Stoffe in zahlreichen Produkten erforderlich. Ein weitergehender Gewässerschutz muß sich an den natürlichen Lebensbedingungen von Wasserpflanzen und -tieren orientieren. "Die Gewässer sind so zu bewirtschaften, daß sie dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch dem Nutzen einzelner dienen und daß jede vermeidbare Beeinträchtigung unterbleibt", heißt es im Wasserhaushaltsgesetz. Dieser allgemeinverbindliche Paragraph könnte die heutige Gewässerschutzpolitik auf den Kopf stellen, wenn die Behörden ihre rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen würden z.B. mit der Erstellung einer Reinhalteordnung. In dieser Reinhalteordnung könnten die Behörden Ziele verankern und die Maßnahmen festlegen, die zur Erreichung dieser Ziele notwendig sind. Die Reinhalteordnung würde zunächst den erwünschten Gewässerzustand beschreiben. Entsprechend müßten die Wasserbehörden die Einleitungen auf das Gewässer bezogen modifizieren, bis hin zu Einleitungsverboten. 

Heute ist es den Wasserbehörden nur möglich, die Einhaltung der in den Erlaubnissen vorgeschriebenen Grenzwerte zu erzwingen, unabhängig von dem Zustand des Gewässers, in das eingeleitet wird. Da Hamburg vor allem durch Hafen- und Wasserstraßenbau die Selbstreinigungsfähigkeit und die Lebensräume für Wassertiere und -pflanzen vernichtet hat und so weitermachen will, werden Verringerungen bei den direkten Einleitungen in ihrer Wirkung wieder aufgehoben. Die Folgen dieser Gewässerpolitik können an der Elbe beobachtet werden - die Kloake ist vorprogrammiert. 

Schon vor dem Zusammenbruch der sozialistischen Regierungen der CSSR und DDR gab es dort Umweltgruppen. Zusammen mit westdeutschen Initiativen haben sie 1990 den "Elberat" gegründet. Was der will, steht in Kapitel 6.2. "Rettet die Elbe" ist Gründungsmitglied des Elberats, und unter anderem deshalb geht unser Beitrag zum Umweltatlas Hamburg über die Stadtgrenze hinaus. 

Klaus Baumgardt 

Förderkreis "Rettet die Elbe" e.V. im Elberat 

Dreikatendeich 44 
2103 Hamburg-Altenwerder 
Tel. 040/39 30 01 
Stand 1992 

Lesestoff:

  • Förderkreis "Rettet die Elbe" e.V.: Betr.: Elbfischerei; 1991
  • Der "Plan für die Elbe", Januar 1989, ist vergriffen.
  • Umweltgruppe Physik/Geowissenschaften: Wasser in Hamburg III; 1991
  • Greenpeace: Elbe - Ergebnisse der Meß- und Aktionsfahrt der Beluga; 1990
  • Umweltbehörde Hamburg: Artenschutzprogramm Fische und Rundmäuler in Hamburg; 1992
  • Einleitungskataster Wasser; seit Erhebungsjahr 1984
  • Elbe, Materialien für Aus- und Fortbildung, Heft 11; 1990
  • Arbeitsgemeinschaft zur Reinhaltung der Elbe:

  • Jahresberichte, Zahlentafeln und Sonderprogramme; seit 1979 


 
 
Teilgebiet
Fläche km2 (Staat gesamt zum Vergleich)
Eigen-Gebietsabfluß


m3/s

Einwohner Mio (Staat gesamt zum Vergleich)
Besonderheiten und Probleme
CSFR
51.400
200 - 300
ca. 9,0
Relativ wasserarmes Gebiet, dadurch intensive und mehrfache Nutzung des Dargebots.
Energieerzegung basiert auf Braunkohle, daher Luftverschmutzung und saure Niederschläge. Starke Waldschäden. Zu befürchten isteine dadurch verstärkte Erosion und Wasserbelastung.
Stauhaltung der Elbe in mehreren aufeinanderfolgenden Stufen macht das Gewässer sehr empfindlich.
Förderung und Verarbeitung von Braun- und Steinkohle,Erdöl und Buntmetallen.
Intensive Landwirtschaft (z.B. Hopfen).
ex-DDR
79.200 (von 108.300)
ca.500
ca. 15,0 (von 16,7)
Relativ wasserarmes Gebiet, dadurch intensive und mehrfache Nutzung des Dargebots.
Energieerzeugung basiert auf Braunkohle, daher Luftverschmutzung und saure Niederschläge. Starke Waldschäden. Zu befürchten ist eine dadurch verstärkte Erosion und Wasserbelastung.
Förderung und Verarbeitung von Braunkohle, (Kali)Salz und Buntmetallen.
Chemische Industrie.
Intensive Landwirtschaft.
 
Westberlin
500
ca 10
(incl. Abwasser)
1,9
Typische Ballungsraumprobleme, z.B. Altlasten. Abwasser- und Abfallentsorgung größtenteils im Umland.
alt-BRD
17.400
(von 248.100)
ca.160
ca. 3,2 (von 61,1)
 
Bayern
1.400
ca. 10
ca. 0,2
Quellgebiet der Eger
Tidebereich unterhalb der Staustufe Geesthacht
16.000
ca. 150
ca. 3,0
lange Verweilzeit des Wasserkörpers und empfindlicher Sauerstoffhaushalt.
Wattenmeer und Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung.
Eindeichungen zur Landgewinnung und zum Sturmflutschutz.
Wegen Hafen und Fahrwasser Ausbaggerungen und intensive Strombau-Maßnahmen.
Risiken durch Transport, Umschlag und Lagerung gefährlicher Güter.
(Kern)Kraftwerke, chemische Grundstoffindustrie, Raffinerien, Aluminium- und Kupferhütten.

Typische Ballungsraumprobleme (z.B. Altlasten).

Landwirtschaftliche Sonderkulturen (Obst, Gemüse, Baumschulen).

Gesamt
148.500
ca.900
ca.29
Das Flußsystem der Elbe umfaßt Böhmen, Mittel- und Norddeutschland, vom Fichtelgebirge bis zur Nordsee eine vielgestaltige mitteleuro päische Landschaft. Es ist natürlicher Lebensraum für eine große Zahl von Tier- und Pflanzenarten. Es wird ebenfalls intensiv und für sehr viele Zwecke vom Menschen genutzt.
Die Ballungsgebiete der CSSR, DDR, Westberlin und Norddeutschlands liegen im Einzugsgebiet, verbunden durch die Wasserstraßen. Die dadurch entstehenden Belastungen reichen bis weit in die Nordsee hinein.

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Erstellt Mai 1992
Internet ab Juli 1997
update Juli 2003


Plan für die Elbe 2003

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