Elbvertiefung - Klage der Fischer vor dem Bundesverwaltungsgericht
Am 16. und 17. November 2017 verhandelte das
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig die Klagen der
Elbfischer (sowie der Gemeinden Otterndorf und Cuxhaven) gegen die
Elbvertiefung. Zuvor war die Klage der Naturschutzverbände BUND und
Nabu - unterstützt vom WWF - in wesentlichen Punkten gescheitert,
lediglich beim Schierlingswasserfenchel bemängelten die Richter
ungenügende Ausgleichsmaßnahmen. Diesen Mangel wollen die Elbvertiefer
mit einer weiteren Fläche in einem Planergänzungsbeschluss
beheben, gegen den ggf. wiederum geklagt werden kann.
Die Fischer klagten, die geplante Elbvertiefung verdränge sie von ihren
Fangplätzen und mindere den nutzbaren Fischbestand besonders
durch die Sauerstofflöcher, was die Existenz ihres Gewerbes gefährde.
Dabei stießen sie vor Gericht auf zwei Hindernisse. Die Themen waren
teilweise schon Gegenstand im Verfahren der Naturschutzverbände, so
dass das Gericht wenig Interesse zeigte, nochmals in eine
Sachdiskussion einzusteigen. Grundsätzlich bezweifelten die Richter,
dass die Fischer (und Kommunen) ein umfassendes Klagerecht besäßen.
Deshalb stellte die Anwältin Dr. Roda Verheyen (aus der Kanzlei Michael
Günther, der schon gegen die Hafenerweiterung Altenwerder kämpfte) den
Antrag, die Frage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, was jedoch
vom Gericht abgelehnt wurde. Die Lage
der Elbfischer ist genauso bescheiden wie vor der Elbvertiefung
1999.
Morphologie der Elbmündung
Die morphologische Dynamik der Elbmündung wurde von den Gemeinden
Otterndorf und Cuxhaven (vertreten durch die Anwälte Dr. Schrödter und
Niederstadt) grundsätzlich zur Sprache gebracht, weil sie
darin Gefahren für die Deichsicherheit und die Nutzung der Badestrände
erkennen. Unterstützt wurden sie von dem Gutachter Prof. Zanke, der
bereits für BUND und Nabu in dem Prozess tätig war.
Nach einer von den Wasserbauern O'Brien und Escoffier entdeckten
Gesetzmäßigkeit stehen der Querschnitt einer Flussmündung und das mit
Ebbe und Flut bewegte Volumen (Tideprisma) in einem festen Verhältnis.
Vergrößert man den Querschnitt, hier durch die Fahrrinnenvertiefung,
wächst der Tidehub, damit das Tideprisma. Die Elbvertiefer wollen das
teilweise ausgleichen, indem sie mit dem Aushub die Medemrinne
verflachen (s.u. UWA). Doch ganz wird der Tidehub nicht zurückgedreht,
und
er steigt auch durch die Summe aller anderen Veränderungen der
Morphologie bis Hamburg. Das Wasser wird sich neue Wege in der
Elbmündung graben, bis das Gleichgewicht von O'Brien und Escoffier
wieder hergestellt ist (und mehr als das: es droht eine Spirale der
Verschärfung).
Die von der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) nach Computersimulationen
prognostizierte tidedämpfende Wirkung der UWA werde nicht lange
anhalten, berechnete Prof. Zanke nach seiner Methode. In der
Verhandlung mit BUND und Nabu im Dezember 2016 hatte die BAW noch
entgegnet, eine Simulation über mehrere Jahre und einem Flussbett, das
sich im Laufe der Jahre ändere, sei nicht notwendig. Dem Vorhalt, nach
einem Vortrag im Symposium Tideelbe
im September 2017 könne und praktiziere die BAW genau das , was sie
zuvor verneint habe, entgegnete die BAW, ihr ursprüngliches
kurzfristiges Modell bleibe valide, und das Gesetz von O'Brien sei
darin sowieso eingepreist. Dem wollte das Gericht nicht weiter
nachgehen.
Unterwasserablagerung (UWA)
Die UWA Medemrinne und Neuenfelde sind kennzeichnend für die Probleme,
die aus den vorangegangenen und geplanten Eingriffen in die Elbe
entstehen. (Vergleicht man die Änderung des Flussbetts in der Elbmündung,
beobachtet man ungeheure Verschiebungen von Rinnen und Sandbänken von
mehreren Höhenmetern pro Jahr. So wurden zwischen 1998 und 2010 im
Bereich zwischen Nordostseekanal und der Linie Cuxhaven - Dithmarschen
270 Mio. m3 erodiert, die auf anderen Flächen mit 240 Mio. m3
auflandeten, und 30 Mio. m3 verschwanden Richtung Nordsee. Nur letztere
sind dem Gesetz von O'Brien zuzuordnen, und entsprechen der Zunahme des
Tidehubs im Estuar.) Indirekt verstärkt die Tidehuberhöhung auch die
Strömungsgeschwindigkeiten und den Sedimentumschlag in der Elbmündung.
Welche Folgen das für die Fischerei hat, trug der Krabbenfischer Robert
Hinners dem Gericht vor.
Vortrag
Krabbenfischer
In dem hochdynamischen System Elbmündung haben die Elbvertiefer
befestigte UWA geplant, die dem Blanken Hans das Eindringen
in die Mutter Elbe verwehren. Die auf
die Morphologie des Jahrgangs 2004 eingepasste Lage der UWA Medemrinne
liegt
jedoch weit neben der Realität des Flussbetts von 2016, so dass statt
der geplanten 12 Mio. m3 Aushub nur noch 7 Mio. m3 untergebracht werden
könnten.
Folienpräsentation .ppt
UWA Medemrinne (bitte auch die Notizen beachten)
Kein Problem, meinte der Elbvertiefer Osterwald, man arbeite jetzt
nämlich mit der Natur. Man stelle den naturnahen Zustand wie vor
hundert Jahren wieder her, als sich die Medemrinne noch nicht gebildet
hatte, und zwar immer angepasst an die aktuelle Situation. Dass zum
damaligen naturnahen Zustand auch 1200 Fischereibetriebe auf der
Tideelbe gehörten, vergaß er zu erwähnen. Er präsentierte die neue Lage
der UWA, dort seien wieder 12 Mio. m3 abzulagern. Wenn bei Baubeginn
(in
?2019?) es wieder nicht passe, dann könne "mit der Natur" nachgebessert
werden.
.jpg DGMW 2016 mit Lage
der UWA Medemrinne alt und neu
Nachgerechnet mit dem Digitalen Geländemodell Wasser 2016 können nur 9
Mio. m3 aufgefüllt werden. Den Krabbenfischern droht, einer der
wichtigsten Fangplätze als Dauerbaustelle verloren zu gehen. Mit den
Fischern über Alternativen oder Schadensminderung geredet haben die
Elbvertiefer nicht. Ob eine UWA unter den heutigen Umständen noch
sinnvoll ist, wurde vom Gericht nicht in Frage gestellt, s.o.
Begegnungsstrecke
Für das Bemessungsschiff von 340 m Länge und 46 m Breite soll die
Fahrrinne von heute 250 m Breite in Hamburg und von Lühe bis Brokdorf
von heute 300 m um 20 m geweitet werden. Unterhalb von Brokdorf ist das
bei 400 m Breite nicht nötig. Zwei Bemessungsschiffe können dann
einander überall und jederzeit passieren. Bei breiteren Schiffen muss
eines warten, heute auf Reede vor der Elbmündung oder am Warteplatz vor
den Airbus-Werken. Deshalb ist eine Begegnungsstrecke zwischen
Blankenese und Wedel geplant, die von 250 m auf 385 m verbreitert
werden soll - ausgerechnet da haben die letzten Hamenfischer ihren
ergiebigsten Fangplatz.
Folienpräsentation .ppt
Begegnungsstrecke (bitte auch die Notizen beachten)
Elbfischer Walter Zeeck präsentierte zwei alternative Begegnungsboxen,
die nautisch ebenso geeignet sind, aber die Fischerei nicht stören
würden. Der Plan Blankenese-Wedel entspreche am besten den
Fahrplangewohnheiten der Reeder, entgegnete Elbvertiefer Osterwald. Mit
denen hatte er wohl geredet, mit den Fischern nicht. Überhaupt sei die
Elbe nun mal eine Wasserstraße, die von der Verwaltung verändert werden
dürfe. Es wurde von der Beklagten der Präzedenzfall des Pächters einer Tankstelle
genannt, die durch die Verlegung einer Straße nicht mehr angefahren
werden konnte, das habe der hinnehmen müssen. Mit anderen Worten: die
Fischer sind auf der Elbe nur geduldet. Wenn einer von ihnen wegen der
Elbvertiefung seine Existenz verliert, wird er eben entschädigt, und
Schluss.
Gewässergeschichte und Sauerstoffhaushalt
Anhand einer heutigen Karte erläuterten die Fischer Walter Zeeck und
Lothar Buckow, was von dem natürlichen Binnendelta im Hamburger Raum
des Gewässers Elbe und der Möglichkeit der Fischerei übrig geblieben
ist.
Folienpräsentation .ppt
Historie und Sauerstoff (bitte auch die Notizen beachten)
Durch übermäßige Schmutzeinleitungen kam es zu Sauerstoffmangel von
unter 3 mg/l und damit zu Fischsterben. Nach der Ertüchtigung des
Hamburger Klärwerks und der Verringerung der Schmutzfrachten aus der
ehemaligen DDR und CSSR besserte sich die Lage, und die Fischer
blickten optimistischer in die Zukunft. Doch nach der Elbvertiefung
1999 traten wieder vermehrt Sauerstofflöcher auf.
Die Wirkung von Sauerstoffmangel beschrieb W. Zeeck:
"Das Sauerstoffdefizit in den
Sommermonaten hat unmittelbare Auswirkungen auf die Berufsfischerei.
Bei Werten um 6 mg/l Sauerstoff fangen die Fische an, ihre
Bewegungsfähigkeit zu verlieren, und unter 6 mg/l bis unter 3 mg/l
treiben die Fische, zum Teil noch lebend, an der
Wasseroberfläche. In diesem Stadium fliegen die Möwen nicht mehr zur
Nahrungsaufnahme über dem Wasser, sondern man kann beobachten, wie sie
auf dem Wasser sitzen, um die toten und halbtoten Fische zu fressen. In
diesem Stadium wird die Fischerei eingestellt, da im Netz fast kein
Fisch zu fangen ist, und die Fische, die noch gefangen worden sind,
fast unverkäuflich, sind da sie sich in einem sterbenden Stadium
befinden. Hinzu kommt, dass der Fang lebender Fische, die sich im
Bünn befinden (Hälteranlage im Schiff, das von außenbords mit Wasser
durchströmt wird, zwecks Lebendhaltung des Fanges bis zum Verkauf),
durch den Sauerstoffmangel komplett vernichtet werden kann."
L. Buckow fügte hinzu, im Sommer würden vor allem ins Meer abwandernde
Jungstinte vom Sauerstoffmangel dezimiert. Geschehe das mehrere Jahre
hintereinander, breche die Stintpopulation ein, wie es in der letzten
Fangsaison festzustellen war. Stint ist nicht nur für die Fischer
wirtschaftlich wichtig, sondern auch die Nahrungsbasis anderer Arten
wie Barsch, Aal und Zander.
Bei der Beurteilung der Wirkung des seeschifftiefen Wassers auf den
Sauerstoffhaushalt wurde von den Elbvertiefern nur die physikalische
Sauerstoffversorgung der Wassersäule durch die Wasseroberfläche
berücksichtigt. Da sich die spezifische Wasseroberfläche durch die
Vertiefung nur sehr wenig ändere, sei keine messbare Verschlechterung
zu erwarten. Für von oberhalb eingeschwemmte Algen, die abgestorben zur
Sauerstoffzehrung führen, seien die Oberlieger verantwortlich, nicht
jedoch die Elbvertiefung.
Die Kläger hielten dem entgegen, im relativ flachen Wasser oberhalb des
Hafens bis zum Wehr Geesthacht sei die Sauerstoffversorgung dank
lebender Algen exzellent, erst das tiefe dunkle Wasser mache aus ihnen
ein Problem. Die Wassertiefe hat eine fünffach abträgliche Wirkung auf
den Sauerstoffhaushalt:
- (Verringerung der spezifischen Wasseroberfläche)
- unmittelbar kaum noch O2-Produktion durch Algen wegen des
schlechten Verhältnis von lichtdurchflutetem zum tiefen dunklen
Wasservolumen
- tendenziell weniger O2-Produktion mangels Reproduktion der Algen im Dunkeln
- unmittelbar mehr O2-Verbrauch durch Respiration der Algen im Dunkeln
- tendenziell mehr O2-Verbrauch durch Abbau abgestorbener Algen
Auch eine geringe Änderung der Wassertiefe kann daher kumuliert
erheblich negativ wirken. Die Experten der Beklagten wiederholten, sie
hätten alles berücksichtigt mit der spezifischen Wasseroberfläche, und
dabei beließ es das Gericht.
Zu allen vorgebrachten Themen wurden von den Anwälten Beweisanträge gestellt, die vom Gericht abgelehnt wurden.
Urteil
Schon 11 Tage nach der Verhandlung verkündete das BVerwG sein
Urteil. Die schriftliche Begründung wird in Kürze folgen.
Weiteres Verfahren
Noch in diesem Jahr ist die Verhandlung der restlichen vier Klagen
anberaumt. Dabei handelt es sich um Teilaspekte, die keine
durchschlagende Wirkung auf die Zulässigkeit der Elbvertiefung haben
werden.
Die im Verfahren von BUND und Nabu vom Gericht festgestellten
Rechtswidrigkeiten können durch einen dritten Planergänzungsbeschluss
geheilt werden. Sollte der Hamburger Senat zu geizig mit den
Heilungsmaßnahmen sein, könnte eine Klage doch noch Erfolg haben. Aber
auf eine Dummheit des Senats sollte man sich nicht verlassen.