Mühlenberger LochEin besonderes BiotopIn der ca. 50 km langen Strecke der Unterelbe, die schon unter Tideeinfluß steht, aber noch Süßwasser führt, nimmt das Mühlenberger Loch schon durch die Größe eine Sonderstellung ein. Massive Verbauung des Stromspaltungsgebiets durch den Hafen, eine unnatürlich tiefe Stromrinne für die Schifffahrt und Vordeichungen, die seit den 60er Jahren fast überall bis an die Ufer vorgezogen wurden, haben nur wenige Flachwasser-, Watt- und Vordeichgebiete übrig gelassen. Nichtsdestoweniger wurden diese Gebiete kaum im Zusammenhang wissenschaftlich untersucht, so daß es schwerfällt zu bestimmen, was denn einen Eingriff wie die DA-Erweiterung ins Mühlenberger Loch so heikel macht. HydrobiologieEine rühmliche Ausnahme vom üblichen Stückwerk machen die Arbeiten von R. Thiel et. al. vom Institut für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft der Universität Hamburg über die Fischbestände in den Flachwasserzonen der Tideelbe.AvifaunaEine detaillierte Untersuchung der Vogelbestände im Mühlenberger Loch wurde von A. Mitschke und S. Garthe (Hamburger avifaun. Beitr. 26 (1994), 99-235) angefertigt, und zwar im Auftrag des Wasser- und Schiffahrtsamts Cuxhaven und der Umweltbehörde Hamburg. Motiv der Auftraggeber war abzuschätzen, welche Folgen eine Tankerhavarie haben könne. Heute wissen wir, daß der Senat von Hamburg gefährlicher ist als eine Ölpest. Als Beispiel aus der Arbeit vom Mitschke und Garthe sei die Löffelente (Anas clypeata) gewählt:Logischerweise fliegen im Herbst mehr Enten in den Süden, als im Frühjahr zurückkehren. Schwund tritt ein durch natürlichen Abgang und sicher auch durch schießwütige italienische Jäger, die gerne die Ente mit dem Löffel essen. Der Senat geht das Problem auf manierlichere, stille hanseatische Art an, indem er den Rastplatz zuschüttet, auf den die Enten, den Gefahren des Südens entkommen, mit letzter Kraft zufliegen. Wenn nach dem ML nur noch Rastplätze 2. und 3. Wahl in Reichweite liegen, wird der geschwächte Bestand in seiner kritischsten Phase weiter dezimiert. Unverständlich ist nur, warum der Senat stattdessen die Enten nicht fängt und brät. Vielleicht liegt das an der lustfeindlichen protestantischen Kultur dieses Landes, wohingegen Katholiken sich die Sünde erst schmecken lassen, dann büßen. In den Planunterlagen fehlt eine detaillierte Diskussion der Bestandsentwicklung der durch die DA-Erweiterung betroffenen Vogelarten. Vor allem fehlt ein quantitativer Vergleich mit anderen Rastplätzen für Zugvögel in Hamburg und im Unterelberaum (vgl. Fischbestandserhebung, s.o.), ob z.B. Löffelenten in der Billwerder Bucht rasten bzw. warum sie das dort nicht tun. Neben dem "Artenhilfsprogramm Brutvögel", das die Umweltbehörde 1995 veröffentlichte, fehlt ein gleichartiges Kataster der Zugvogelarten. Da der Beobachtungsraum der staatlichen Vogelwarte Hamburg über die Landesgrenze hinaus die Elbmarsch bis Pagensand abdeckt, wären alle mit dem ML vergleichbaren Biotope erfaßt. Dadurch könnte beurteilt werden, welche Funktion und Wertigkeit diese Lebensräume für die Avifauna haben. Es würde sich herausstellen, daß ein Eingriff in das ML nachhaltigen, für einige Arten fatalen und nicht ausgleichbaren Schaden anrichten wird. Die Umweltbehörde hat bis heute kein "Artenhilfsprogramm Zugvögel" zustandegebracht, obwohl hunderte von ehrenamtlichen Ornithologen ihre Beobachtungen melden. Im Gegenteil, es wurde die Stelle des "Staatlichen Vogelwarts" gestrichen und mit der Pensionierung des letzten Amtsinhabers im letzten Jahr auch nicht mehr de facto wahrgenommen. Betrachtet man das Ergebnis dieser Politik im jetzigen Verfahren, ist das Verhalten der Umweltbehörde als Sabotage am Naturschutz zu bezeichnen. BotanikVordeichland wurde in den vergangenen Jahrzehnten an der Unterelbe weitgehend eingedeicht oder aufgespült. Auch am ML ist nur ein schmaler Streifen übrig geblieben. Weil so selten, gehört Vordeichland und seine typische Vegetation zu den seltensten und schützenswertesten Biotoptypen in unserer Landschaft, siehe Heuckenlock, Haseldorfer Marsch, Twielenflether Sand u. dergl. . Die DA-Erweiterung wird die jetzige Situation umwälzen, und erst nach Jahrzehnten wird sich vor der neuen Hochwasserschutzlinie ein neues Land-Wasser Gleichgewicht bilden. Ob z.B. der Schierlingswasserfenchel (Önanthe conioides) diesen Prozeß durchhält, kann die Wirtschaftsbehörde nicht vorhersagen.
Alles zusammenDie bisher genannte drei Aspekte sind nicht isoliert voneinander zu begreifen. Sie liegen nicht nur zufällig räumlich im ML, sondern sind funktional zusammenhängende Teile eines Komplexes.Als übergreifende Ökosystembewertung berufen sich die Antragsteller auf das "Staatsrätemodell". Die Methode bewertet in erster Linie Biotope nach ihrem formalen Typ. Die Werteskala ist so gelegt, daß man schon vorhandene wertvolle Biotope durch Ÿnderung ihres Typs "aufwerten" kann. Mit einer wissenschaftlichen Beschreibung des Systems ML hat das Staatsrätemodell nichts zu tun. Die Antragsteller aus der Wirtschaftsbehörde haben in ihren Planunterlagen den Beweis erbracht, daß sie in ihrer ganzen Einstellung und fachlich im Detail nicht fähig sind, ein Ökosystem wie des Mühlenberger Loch zu erfassen, seine Funktionen zu erklären, seine Entwicklung unter verschiedenen Voraussetzungen zu prognostizieren, und gar die Wirkung von "Ausgleichsmaßnahmen" abzuschätzen. Den Antragstellern darf deshalb nicht gestattet werden, ihr Vorhaben durchzuführen. Kapitelanfang |