Elbvertiefung
Obrigkeit bleibt ObrigkeitBürgerrechte und Behördenmacht zum Beispiel beim Streit um die ElbvertiefungPlanfeststellungsverfahren waren für Behörden einst eine oftmals heikle Angelegenheit. Kritische Bürgerinnen nutzten die Rechte, die sie sich erkämpft hatten, und stellten die Legitimation sowohl eines bestimmten Projekts als auch der Behörde, die es vertrat, in Frage. Galt eine Sache aus Sicht der jeweils beteiligten Behörden auch oft schon entschieden, boten die vorgeschriebenen Anhörungen der einwenderinnen doch eine Bühne, auf der Umweltschutzgruppen ihre Sache effektvoll präsentieren konnten. Das scheint Vergangenheit, die Obrigkeit hat aus diesen Erfahrungen gelernt, wie mensch im Verfahren zur Elbvertiefung erleben konnte. Obrigkeit horcht zuIn einem Vorlauf, ”Scoping” genannt, begannen die Wasserstraßenverwaltung des Bundes und das hamburgische Amt für Strom- und Hafenbau schon seit 1994 zu erkunden, welche Argumente die ”verdächtigen” (die üblicherweise aufmuckenden) Umweltschutzgruppen wohl diesmal vorbringen würden. Die Behörden ließen sich über diese Erkundung ein Gutachten im Wert von zehn Millionen Mark fertigen, mit dem sie sich für die erwartete Schlacht rüsteten. Zehn Millionen Mark Steuergelder, damit der Staat gegen die Argumente der Steuerzahler gewappnet ist!Obrigkeit klart aufIm Frühsommer 1997 gab die Hamburger Wirtschaftsbehörde mehrfach gleich die Parole aus, der Weg für die Elbvertiefung sei frei. Mal wurde aus unfertigen Gutachten berichtet, es bestehe keine Gefahr für Mensch und Umwelt, mal ließ man die Regierungschefs der Nachbarländer ihr Einverständnis erklären. Die Hürde ”Planfeststellungsverfahren” wurde nicht ein einziges Mal erwähnt. In der Öffentlichkeit sollte der Eindruck entstehen, es sei schon alles klar.Obrigkeit sorgt vorUm die Pläne im Umfang von rund 40 Aktenordnern zu prüfen, gewährten die Behörden den Initiativen gerade einmal die gesetzlich vorgeschriebene Auslegungsfrist von vier Wochen plus zwei Wochen bis zur Abgabe der Einwendungen. Darob kritisiert, hielten die Behörden entgegen, die Einwenderinnen sollten gar nicht alle Unterlagen lesen. Fürsorglich hätte man, so die Behörden weiter, einen solchen Papierberg erarbeiten lassen, auf daß jede und jeder eine Antwort auf ihre oder seine kleinen persönlichen Belange finde. Das gesamte Vorhaben in Frage zu stellen, sei ja nicht Sinn der Einwendungen.Obrigkeit bleibt unbefangenKann die Obrigkeit ein unvoreingenommener Schiedsrichter in eigener Sache sein? Selbstverständlich! Alle Mitarbeiter des Amts für Strom- und Hafenbau beziehungsweise der Wasserstraßenverwaltung sind von Amts wegen fair und objektiv, egal, ob sie Antragsteller eines Vorhabens sind, eine Anhörung leiten oder Antrag und Einwendungen abwägen, um den Plan festzustellen. Befangenheitsanträge, in denen die Einwender unterstellen, das sei nicht so, sind eigentlich Beamtenbeleidigung und müssen abgelehnt werden. Einwender täuschen sich, wenn sie frühere Stellungnahmen eines Beamten zugunsten der Elbvertiefung als Motiv sehen, bei einer Erörterung die Kollegen Antragsteller zu begünstigen.Obrigkeit, marsch!Über vorgezogene Teilmaßnahmen wollte die Obrigkeit auf der ersten Anhörung im Dezember 1997 in Hamburg nicht verhandeln. Erstens könnten Teilmaßnahmen rückgängig gemacht werden, zweitens seien sie so klein, drittens fänden sie nicht im Hamburger Elbabschnitt statt und lägen so nicht in der Zuständigkeit der Anhörungsbehörde in Hamburg. Dennoch gab sie dem vielfachen Wunsch der Einwender nach. Mitten in der Debatte aber verkündete sie den Beginn der vorgezogenen Baggerei und provozierte so den größten Teil der Einwender zum Auszug. Diesen Behörden können Trödelei und Entschlußunfähigkeit wirklich nicht nachgesagt werden! Obrigkeit marschiert.Obrigkeit teilt und herrschtDie Behörden wollten den Einwendern ”entgegenkommen”, indem sie nicht einen zentralen Anhörungstermin ansetzten, sondern gleich fünf in Hamburg, Brunsbüttel, Pinneberg, Stade und Cuxhaven. Obendrein boten sie den Naturschutzverbänden auf beiden Seiten der Elbe je einen Extratreff in Elmshorn beziehungsweise Drochtersen, damit in aller Ausführlichkeit, auf höchstem fachlichen Niveau und ungestört von Otto Normaleinwenders Nörgelkram, diskutiert werden könne.Trotz der Warnung anderer Einwender und eines klaren gegenteiligen Beschlusses in einer Vorbesprechung krochen BUND, Naturschutzbund und WWF auf den Leim nach Drochtersen. Dort ging ihnen jämmerlich die Puste aus, weil schon am zweiten der auf vier Tage angesetzten Veranstaltung bis auf eine Person alle anderen wegblieben. Eine gelungene List der Obrigkeit, alle Achtung. Obrigkeit weiß, was not tutObrigkeit weiß, was das Land braucht, und braucht das nicht mit Containerzählerei zu belegen. Die Einwender hatten beantragt, eine Statistik der Schiffe mit Tiefgängen über der derzeitigen Bemessungsgrenze vorzulegen und anzugeben, ob und wieviel Fracht diese Schiffe in Hamburg liegen lassen mußten, wie also der Bedarf für die Elbvertiefung begründet sei. Die Anhörungsbehörde (Amt für Strom- und Hafenbau) stellte es der Antragstellerin (Amt für Strom- und Hafenbau) anheim, diese Fragen zu beantworten. Die war so frei, nicht zu antworten. (Lange nach den Anhörungen haben sie es doch getan - Ergebnis s. "Welche Schiffe ...)Obrigkeit denkt nachNicht nur einlaufende Schiffe können die auflaufende Flut nutzen, trotz großen Tiefgangs Hamburg sicher zu erreichen, auch beim Auslaufen können sie mit variabler Fahrgeschwindigkeit die Tide nutzen, um Untiefen zu vermeiden. Die Einwender vom Förderkreis ”Rettet die Elbe” rechneten anhand von Flußprofiltiefe und Tidewasserstand vor, wie ein einlaufendes Schiff selbst bei 14,50 Meter Tiefgang mit der Flutwelle sicher über alle Untiefen hinweggleitet. Sie zeigten auch, wie ein Schiff mit 11,80 Meter Tiefgang unbesorgt auslaufen kann, und daß ein Schiff mit 12,80 Meter Tiefgang, das mindestens 14,50 Meter Wassertiefe braucht, die Untiefen durch Bummeln ” umfahren” kann.Da stand die Ochsbrigkeit vor diesem Einwand, dachte lange nach und kam zu der beeindruckenden Erkenntnis: Ein Schiff, das gleichmäßig langsam fährt, läuft auf Grund; bei konstanter mittlerer Geschwindigkeit läuft es ebenfalls auf Grund; auch wenn es schnell fährt, läuft es auf Grund. So einfach sollte das erledigt sein? “Rettet die Elbe” bewertete die intellektuelle Leistung der Behörden mit “Thema verfehlt, Note 6” und setzte einen Antrag hinterher, der den Gedankengang konsequent zu Ende führte: Antragsteller und Planfeststellungsbehörde sollten nun prüfen, ob (alternativ zur Fahrrinnenvertiefung) auslaufenden Schiffen mit tatsächlichem Tiefgang von mehr als zwölf Metern gestattet werden kann, mit Geschwindigkeiten von mehr als 20 Knoten (über Grund) zu fahren. Dadurch könnten diese Schiffe die Wassertiefe der einlaufenden Flut nutzen. Eine Baggerung könnte unterbleiben, alle deswegen erhobenen Einwände wären gegenstandslos. Wegen der sehr geringen Zahl der Schiffe, die diese Möglichkeit in Anspruch nehmen würden, wären die Wirkungen auf die Umwelt - vor allem stärkerer Wellenschlag am Ufer - wesentlich geringer als die Summe der Wirkungen einer Fahrrinnenvertiefung. Schutzmaßnahmen gegen Wellenschlag wären mit relativ geringem Aufwand möglich.An diesem hinterhältigen Plan von “Rettet die Elbe” knackt die Ochsbrigkeit bis heute. Obrigkeit gesetzestreuFrühere Elbvertiefungen hatten Folgen: Da sorgt sich so’n Landei, ein Nebenarm der Elbe würde verschlicken und er könne nicht mehr mit dem Boot aus seinem Priel segeln; oder ein Bauer nörgelt, wegen Ausgleichsmaßnahmen extensivierte Vordeichswiesen würden verkrauten, was Wildgänse gar nicht lieben und statt dessen prompt seine Viehweiden kahlfräßen; und der Vertreter des Deichverbandes fragt auch noch nach der Bestandsaufnahme der Folgen der letzten Elbvertiefung, mit dem Hinweis, die Sturmfluten liefen doch nun höher auf.Obrigkeit zeigte sich ob all dieser Sorgen und Nöte verständnisvoll und fragte nach, ob das alles schon heute zu beobachten sei? Aber ja doch, antworteten die biederen Einwender, und waren schon in die Falle getappt. Denn ob Anwohner der Elbe über direkte Beobachtungen berichten oder ob Umweltgruppen mit wissenschaftlichen Arbeiten daherkommen - Obrigkeit ist strikt gesetzestreu und bedauert zutiefst, kein einziges dieser Argumente anerkennen zu dürfen. Was vergangen sei, zähle gesetzlich nicht zu diesem Verfahren, belehrten die Staatsherren die Einwender. Aber das, was nach der jetzt geplanten Elbvertiefung komme, das sei laut Gutachten der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), im Computer unwiderlegbar berechnet, im Effekt so minimal, daß es nicht zähle. Es geht nicht um die Wurst, sondern um die dünne Scheibe, die jetzt vom restlichen Zipfel abgeschnitten werden soll. Obrigkeit übt WillkürModerne Obrigkeit übt Willkür nach wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Randbedingungen werden von oben gesetzt, damit das Gutachtenergebnis paßt. Eine Randbedingung des zentralen Gutachtens der BAW lautete, die Eigenerosion der Elbe, der sogenannte morphologische Nachlauf, komme nach kurzer Zeit ins Gleichgewicht. Auf einem Vortrag in der Universität Hamburg gab Gutachter Dr. Flügge auf Befragen allerdings zu, er habe keinen Beweis für seine Annahme. Es könnte also auch sein, daß sich das Tidegeschehen nicht nach geringfügigen Änderungen (wie “unwiderlegbar” berechnet) stabilisiert, sondern daß negative Tendenzen sich verstärken.Aber eigentlich müßte man die Eigenerosion der Elbfahrrinne ja an den Peilungsdaten der vergangenen Jahre ablesen können. Deshalb wurde in Hamburg und in Stade beantragt, ein Fahrrinnenprofil der Unterelbe vorzulegen, das auf jüngsten Peilungen beruht. Das heutige Profil ist mit dem in den Planungen zugrunde gelegten (Stand 1992) zu vergleichen, die Veränderungen seien darzustellen. Es ist eine Bilanz vorzulegen, wo und in welchem Maß in diesem Jahr Sedimente in der Unterelbe entnommen oder umgelagert wurden. Aus der Darstellung sollen auch die Veränderungen der Ufer- bzw. Fahrrinnenkante ersichtlich sein. Die Anhörungsbehörde stellte - wieder einmal - den Antragstellern frei, auf diese Fragen zu antworten, worauf letztere verzichteten. Aber das kennt man ja schon... Im Sommer 1997 meldete das “Hamburger Abendblatt”, die Deckschicht über dem Autobahn-Elbtunnel werde immer wieder abgetragen. Das Gutachten der BAW verzeichnet an dieser Stelle höchste Strömungsgeschwindigkeiten und einen ”morphologischen Nachlauf” mit Abträgen bis zu drei Metern. Die Obrigkeit versuchte im klassisch-plumpen Stil - die Angaben seien nicht korrekt - das Problem abzutun. Weil sie die eigenen Daten nicht verleugnen konnte, spielte sie ”wir haben alles im Griff”. Man verhandle mit der Baubehörde und werde Lösungen finden. Welche, wollte der Obrignachwuchs des Amts für Strom- und Hafenbau nicht verraten. Das muß nicht jeder wissen (auch wenn's 20 Mio.DM mehr kostet, s. jüngste Pressemeldung). Aber man könne unbesorgt durch den Elbtunnel fahren, es bestehe keine Gefahr. Mal sehen, wann der erste Beamte den Umweg über die Norderelbbrücken fährt... Obrigkeit europaweitDie Naturschutzverbände hoffen, die Europäische Kommission könne wegen Mißachtung von EU-Richtlinien zum Naturschutz eingreifen, und haben entsprechende Beschwerden eingereicht. Auch ”Rettet die Elbe” hatte gegen Hafenerweiterung und Öffnung der Alten Süderelbe die Kommission angerufen. Die entsprechenden Argumente gelten sinngemäß auch für die Elbvertiefung, beruhen aber nicht auf juristisch eindeutigen Titeln, sondern auf der Interpretation von Biotopkartierungen. Illusionen über die Erfolgsaussichten in Brüssel - ”wenn der gute König nur wüßte, würde er für Gerechtigkeit sorgen” - sollten sich die Untertanen beziehungsweise heute die Naturschutzverbände aber nicht machen. Aufgabe der EU-Kommission ist es in erster Linie, Handelshemmnisse zu beseitigen, in diesem Fall statt unterschiedlicher Umweltvorschriften gleich niedrige Naturschutzstandards zu setzen. Die Interessen der hamburgischen und der europäischen Obrigkeiten sind im Prinzip identisch, im Zweifel werden sie gemeinsam ihre Bürgerinnen untertan machen.ObrigkeitsstaatWas sich Obrigkeit erlaubt, ist keine zufällig genutzte Gelegenheit. Mit dem Hafenentwicklungsgesetz und den Beschleunigungsgesetzen wurde vor Jahren die Richtung bestimmt, der Staat müsse straffer regieren, wenn Bürger gegen Großprojekte nörgeln. Bei der Fahrrinnenvertiefung hat die Obrigkeit zudem den Vorteil, daß es keine direkt materiell Betroffenen gibt, die eine juristische Handhabe gegen eine Planfeststellung vor Gericht bringen können. Daß die Elbfischer einen Rahmenvertrag und eine Entschädigung heraushandeln konnten, lag wesentlich am voreiligen Übermut der Behörden, der das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig provozierte, die vorgezogenen Teilmaßnahmen zunächst zu stoppen.In zwei betroffenen Bundesländern haben sich einstige Gegner der Obrigkeit brav angedient und mit Pöstchen und neuen Kleidern bezahlen lassen: In Schleswig-Holstein bezeichnete der grüne Umweltminister Rainder Steenblock die geplante Fahrrinnenvertiefung in einer Landtagsdebatte als ”ökonomisch wohl notwendig” (so gesehen, könnte er gleichdummes Zeug auch zu Atomkraftwerken sagen). Und in Hamburg hat die Grün-Alternative Liste (GAL) die Elbvertiefung per Koalitionsvertrag hingenommen. Umweltschutz ist nicht das große Thema, das es vor 15 Jahren noch war. Die Umweltschutzgruppen können nicht durch Aktionen soviel Druck machen, daß sie die Schlagzeilen der Presse beherrschen. Die Obrigkeit nutzt auch diese Chance. Offenkundig haben weder Antragsteller noch Planfeststellungsbehörde ein Interesse an der Aufklärung von Sachverhalten, die bedeutend für die Aussagen der Gutachter und die Folgen der geplanten Maßnahme sind. Offenkundig hat die Planfeststellungsbehörde keine Ambitionen, objektiv zu sein; offenkundig hat sie nicht die Absicht, Argumente nicht nur für, sondern auch gegen die Fahrrinnenvertiefung zu sammeln und abzuwägen, wie es eigentlich ihre gesetzliche Aufgabe ist. Offenkundig sind die Entscheidungen längst gefallen. Offenkundig dienen die Erörterungen nur zur Erledigung einer Formalie, bei der die Behörden testen, wie weit sie gehen können. Die Objektivitäts-Mystik, so soll es der Weimarer
Reichsjustizminister Gustav Radbruch (SPD) mal in einem Anflug
kritischen Denkens formuliert haben, die Objektivitäts-Mystik sei
nur die Lebenslüge des Obrigkeitsstaates. Tja, und es gibt Zeiten,
da fühlt der Obrigkeitsstaat sich so stark und unangreifbar,
daß er keine Lebenslüge mehr nötig haben glaubt... Dieser Artikel erschien in "Waterkant", Heft 2/1998 Kapitelanfang |